Ist Pflege weiblich?

Die Pflege ist weiblich, oder? Schließlich heißt es ja auch die Pflege. Die Statistik scheint diesem verbreiteten Vorurteil Recht zu geben.

Wie Untersuchungen zeigen, liegt der Anteil von Frauen in Pflegeberufen noch immer bei 80 Prozent. In der ambulanten Pflege sind es sogar 90 Prozent. Und auch in den Familien sind es vornehmlich noch immer die Frauen, die Familienangehörige pflegen und betreuen.

Ulrich Körtner
ist Leiter des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin

Der Bedarf an Pflege steigt, nicht zuletzt aufgrund des demographischen Wandels. Die Menschen werden älter. Zwar gibt es eine neue Generation von „jungen Alten“, die sich noch bester Gesundheit erfreuen. Doch auch die Zahl der Hochbetagten über 80 Jahren steigt, darunter viele pflegebedürftige Menschen. Und auch die Zahl der Demenzerkrankungen nimmt zu.

Ein Beruf im Schatten

Trotzdem gehört der Pflegeberuf noch immer zu den Berufen, die im Schatten stehen, wenn es um öffentliche Wertschätzung – und angemessene Bezahlung geht. „Die Pflege als Beruf“, so stellte Elisabeth Seidl, eine der Pionierinnen der österreichischen Pflegewissenschaft schon vor Jahren nüchtern fest, „steht in Österreich im Spannungsfeld zwischen Gebrauchtwerden und Vergessenwerden. Immer dann, wenn der Bedarf an Pflegeleistungen bedrohlich zunimmt – etwa bei der Versorgung von Alten und chronisch Kranken – wird Pflege aktuell. Auch bei Problemen im Gesundheitswesen, wenn Öffentlichkeit und Medien alarmiert sind, steigt die Aktualität der Pflege. Wenn es jedoch um die Verteilung von Forschungsmitteln geht, wenn es um die autonome Ausübung des Berufes und um Fragen der höheren Bildung geht, dann ist Pflege nicht gefragt, nicht aktuell.“

Zwischenruf
Sonntag, 27.10.2013, 6.55 Uhr, Ö1

Neben der Medizin hat sich die Pflege in den letzten Jahrzehnten zu einem eigenen Wissenschaftszweig entwickelt. Auch hierzulande macht die Pflegewissenschaft Fortschritte. Allerdings besteht im internationalen Vergleich weiterhin ein großer Nachholbedarf. Lange Zeit galt die Pflege als Hilfsdisziplin der Medizin. Das hat sich inzwischen zum Glück geändert. Zumindest in der Theorie wird längst akzeptiert, dass die Pflege ein eigenständiger, gleichberechtigter und anspruchsvoller Beruf mit einer entsprechend qualifizierten Ausbildung ist.

Sich für die Pflege und in der Pflege zu engagieren ist zweifellos ein Gebot der christlichen Nächstenliebe. Aber Pflege darf nicht nur ein Akt der Barmherzigkeit sein. Sie ist ein grundlegendes Menschenrecht. Ohne Geld und politische Strategie ist das nicht zu haben. Der jetzige Pflegefonds läuft Ende 2016 aus. Caritas, Hilfswerk und Rotes Kreuz fordern daher völlig zu Recht von der nächsten Bundesregierung ein langfristiges Konzept zur Finanzierung und Qualitätssicherung des Pflegesektors.

Pflegen kann jeder, oder?

In der Öffentlichkeit und auch in der Politik herrscht jedoch noch immer ein anderes Bild. Pflege soll möglichst wenig kosten. Altenpflegerinnen und -pfleger verdienen sogar noch weniger als diplomierte Pflegekräfte, und Frauen in Pflegeberufen deutlich weniger als Männer. An qualifiziertem Personal wird gespart. Noch immer findet viel häusliche Pflege in einer gesetzlichen Grauzone statt. Vielen ist auch der Unterschied zwischen professioneller Pflege und einer Betreuung nicht geläufig. Immer wieder kann man von 24-Stunden-Pflege hören, wo eigentlich eine häusliche Ganztagsbetreuung gemeint ist.

So hält sich weiter das hartnäckige Vorurteil, eigentlich könne doch jeder pflegen, pardon: jede. Denn natürlich ist das vermeintlich angeborene Pflegetalent in erster Linie Frauensache. Basis einer guten Pflege ist die Haltung der Fürsorglichkeit. Fürsorglichkeit aber gilt vielen noch immer als eine spezifisch weibliche Eigenschaft.

Hier tut Geschlechtergerechtigkeit not: Auch Männer können und sollen fürsorglich sein. Und im Übrigen muss man eines festhalten: Zwischen allgemein menschlicher Fürsorglichkeit und einer wissenschaftlich erforschten, in mehrjährigen Fachschulen erlernten professionellen Pflege besteht ein Unterschied wie zwischen dem Singen unter der Dusche und auf der Bühne der Staatsoper.

Zwischenruf 27.10.2013 zum Nachhören:

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