Der Sinn für das Heilige

„Camus unterläuft den üblichen Gegensatz zwischen Religion und Atheismus. Wenn das Absurde vor allem darin besteht, die Grenzen menschlicher Vernunft anzuerkennen, dann muss das Absurde auch eine Dimension christlichen Lebens sein“, sagt Hans Schelkshorn.

In einer Tagebuchnotiz aus dem Jahr 1954 schreibt Albert Camus: „Ich lese oft, ich sei Atheist, ich höre oft von meinem Atheismus reden. Aber diese Worte sagen mir nichts, sie haben keinen Sinn für mich. Ich glaube nicht an Gott und ich bin kein Atheist.“ Da er sich „nicht im Besitz irgendeiner absoluten Wahrheit fühle“, sieht sich Camus – im Gegensatz zu manchen lautstarken Atheisten heute – nicht in der Lage, die christliche Wahrheit als „eine Illusion“ zu entlarven; er könne nur bekennen, dass er der christlichen Wahrheit „nicht teilhaftig zu werden vermochte.“

Der Agnostiker Camus

Camus unterläuft den üblichen Gegensatz zwischen Religion und Atheismus. Wenn das Absurde vor allem darin besteht, die Grenzen menschlicher Vernunft anzuerkennen, dann muss das Absurde auch eine Dimension christlichen Lebens sein. Denn auch Christen können ihre Wahrheit nicht einfach „besitzen“. Umgekehrt hält auch Camus als Agnostiker an einem „Sinn für das Heilige“ fest. Das Heilige liegt für Camus nicht in einer Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, sondern in der überschäumenden Macht des Lebens und der Natur. In dem Essay „Hochzeit in Tipasa“ heißt es:

Hans Schelkshorn

ist Philosoph und römisch-katholischer Theologe

„Hier begreife ich den höchsten Ruhm der Erde: das Recht zu unermesslicher Liebe … Wer einen Frauenleib umarmt, presst ein Stück jener unbegreiflichen Freude an sich, die vom Himmel aufs Meer niederströmt ... Ich liebe dieses Leben von ganzem Herzen und will frei von ihm reden: ich verdanke ihm den Stolz, ein Mensch zu sein. Und doch hat man mich oft genug gefragt, worauf ich denn so stolz sei. Worauf? Auf diese Sonne und dieses Meer, auf mein von Jugend überströmendes Herz, auf meinen salzigen Körper und diese unermessliche Pracht aus Glanz und Glück, aus Gelb und Blau. Ich muss all meine Kräfte aufbieten, um dieser Fülle standzuhalten.“

Hans Schelkshorn am 7.11. in den Gedanken für den Tag:

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Musik:

Robert Schumann
Drei Romanzen für Oboe und Klavier op.94

Interpreten:
Ricardo Requejo/Klavier
Ingo Goritzki/Oboe