Bibelkommentar zu Lukas 20, 27 – 38

Ein starker Einwand gegen das Leben ist die Vergeblichkeit. Erfahrungen von Vergeblichkeit durchziehen, einem festen cantus firmus gleich, die Dichtung des 20. Jahrhunderts.

„Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, dass er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne.“ Der Eintritt wird nie gewährt werden. Wartend verbringt der Mann sein Leben und stirbt schließlich. Franz Kafka hat mit dieser Erzählung, der sogenannten „Türhüterlegende“, ein unheimlich scharfes Bild der menschlichen Situation entworfen.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 10.11.2013, 7.05 Uhr, Ö1

Am Beginn der zweiten Hälfte des Jahrhunderts schrieb Samuel Beckett „Warten auf Godot“. Die ersten Worte, welche in diesem Drama, einem Schlüsselwerk des vergangenen Jahrhunderts, gesprochen werden, sind: „Nichts zu machen.“ Estragon, der diese Worte sagt, und sein Freund Wladimir werden im Lauf des Stückes nicht über diese ersten Worte hinauskommen.

Fortsetzung im Jenseits

Die von den Sadduzäern erzählte Geschichte der sieben Brüder und der einen Frau scheint über zwei Jahrtausende hinweg die Erfahrung des 20. Jahrhunderts vorwegzunehmen. Was haben diese acht Personen nicht alles auf sich genommen? Wie sehr haben sie sich bemüht. Alles war vergeblich. Schließlich wird die Tür für immer geschlossen. Die Frage nach einer Fortsetzung der Geschichte in einem Jenseits hat einen zynischen Beigeschmack. Soll sich alles wiederholen, noch einmal von vorn beginnen, ein endloser Kreislauf von Vergeblichkeiten?

Gustav Schörghofer
ist Kunsthistoriker, Theologe, Jesuiten-Pater und Pfarrer in Wien-Lainz

Die Antwort Jesu wirkt auf einen ersten Blick ausweichend. In der anderen Welt ist alles anders, sagt er. Es wird nicht mehr geheiratet. Und dann: Die Menschen können nicht mehr sterben, da sie durch die Auferstehung zu Söhnen und Töchtern Gottes geworden sind (wörtlich übersetzt: sie sind Söhne Gottes, da sie Söhne der Auferstehung sind).

Gott ruft die Menschen

Damit wird von Jesus etwas sehr Merkwürdiges gesagt. Gott hat mich als Sohn, als Tochter der Auferstehung angenommen. Durch sein Entgegenkommen kann ich zu seinem Sohn, seiner Tochter werden. Nicht ich komme zur Auferstehung, sondern die Auferstehung kommt zu mir. Nicht ich komme zu Gott, sondern Gott kommt zu mir.

Laut biblischem Bericht gibt er sich Mose mit den Worten zu erkennen: „Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Isaaks und der Gott Jakobs.“ (Ex 3, 6). Diese drei waren längst tot. Doch so wie sie von Gott hier auf Erden ins Leben gerufen worden sind, so werden sie von ihm über den Tod hinaus ins Leben gerufen. Die biblische Botschaft lautet: Gott erschafft alles aus dem Nichts. Wer sich ihm anvertraut entdeckt, dass er am Leben ist jenseits aller Vergeblichkeit. Ich werde gerufen. Meine Antwort ist mein Leben.

Jenseits der Vergeblichkeit

Am Beginn von „Warten auf Godot“ sagt Wladimir über sich selbst: „Wladimir, sei vernünftig, du hast noch nicht alles versucht. Und ich nahm den Kampf wieder auf.“ Ist dieses Aufnehmen des Kampfes ein Aufbäumen gegen die allgegenwärtige Vergeblichkeit? Oder ist es die Antwort auf einen Ruf? Vielleicht ist es eine Mischung von beidem.

Nach den vielen Kämpfen des 20. Jahrhunderts scheint heute die Vergeblichkeit übermächtig geworden zu sein. Doch auch heute vermag die Liebe aus dem Nichts einen Anfang zu setzen. Sie ist die Antwort auf ein Entgegenkommen von jenseits aller Vergeblichkeit. In vielen kleinen Gesten wird diese Antwort gegeben. Ins Jenseits der Vergeblichkeit gelange ich bereits hier. Auferstehung ist bereits hier.