Bibelkommentar zu Johannes 14, 15 - 21

Wirtschaftskrise, Bürgerkriege, Flüchtlingsdramen, Hochwasserkatastrophen, … „wo ist nun dein Gott“, wiederholt der Psalm 42 angesichts der Not in der Welt.

Gott als moralische, politische oder naturwissenschaftliche Arbeitshypothese hat ausgedient. Nietzsche sprach schon vom „Tod Gottes.“ Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer schreibt aus dem Gefängnis 1944: „Wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, dass wir in der Welt leben müssen etsi deus non daretur,“ - als ob es Gott nicht gäbe. Er schreibt auch, dass ein möglicher, aber gefährlicher Notausgang der versuchte salto mortale zurück ins Mittelalter sei, der Rückschritt in die Fremdbestimmung, die keine Eigenverantwortung kennt, in einen Klerikalismus (den übrigens auch Papst Franziskus in seinem Interview mit dem italienischen Journalisten Eugenio Scalfari entschieden verurteilt).

Michaela Richter
ist römisch-katholische Theologin, Handelswissenschaftlerin und Mitarbeiterin der evangelischen Diakonie

Die wachsende Unsicherheit angesichts der nicht beherrschbaren Komplexität der Welt lässt viele Menschen nach Sicherheit suchen. Doch wer sich ängstlich an vermeintlich sichere Antworten klammert, feste Gewissheiten und geschützte Räume sucht, neigt leicht zu fundamentalistischen Ansichten und zum Rückzug auf den „heiligen Rest“, ein Versuch sich abzuschotten gegen die „böse Moderne“, gegen die Verweltlichung und den moralischen Verfall.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 25.5.2014, 7.05 Uhr, Ö1

Der Mensch muss also mit dem Leben ohne Gott auskommen. Der Gott, den wir suchen, bleibt der entzogene, unverfügbare Gott, der sich unsrem Zugriff, unseren Definitionen und unseren Instrumentalisierungsversuchen entzieht. Mir scheint, als ob Gott sich immer weiter entfernt, je mehr ich versuche, ihn zu begreifen und zu erfassen. So wie sich der Horizont scheinbar immer weiter von mir entfernt, wenn ich auf einen Berg steige um das Meer zu sehen. Aber er bleibt der immer weitere Horizont.

Wo also hat Gott noch seinen Raum? Das eben gehörte Evangelium sagt: „Es ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird“ (Joh 15,17)

Der Geist der Wahrheit bleibt für die Welt unsichtbar; er hat ein Dasein im Menschen. D.h. diese Wahrheit ist kein abstrakter Begriff, sondern muss ein Sein haben in meinem eigenen Dasein, sie will existentiell gelebt werden. Daher spreche ich persönlich auch lieber von Wahrhaftigkeit, im Sinne von Authentizität. Menschen, die authentisch sind, sind mit sich selbst eins, ruhen in sich und wissen wer sie sind und was sie können (und was nicht). Das ist der Geist der Wahrheit in uns: Mein eigentliches Menschsein, meine Gaben, meine Berufung zu entdecken und zu leben. Griechisch heißt Wahrheit a-letheia - Aufdeckung. Wahrheit zeigt auf, sie lässt sehen, sie ent-deckt, sie ist das Entdecken des eigenen Selbst. Wahrheit im Sinne der Entdecktheit, Unverborgenheit wird zu einem Kernbegriff des Christentums. „Ich bin die Wahrheit“, sagt Jesus von sich, er, der sich bis zur Hingabe seines Lebens entbirgt.

Ich muss mich meiner eigenen Mündigkeit und Verantwortung in der Welt stellen, mich ent-decken: Was macht mein eigentliches Selbst aus, mein innerstes Ich? Wer bin ich und wer will ich sein, jenseits des Getriebenseins von den Erwartungen anderer an mich, jenseits der Rollen, die ich im Beruf, im Bekanntenkreis, in der Familie habe.

Das ist der tiefere Sinn von Inkarnation: Menschwerdung Gottes, Gegenwart des Heiligen Geistes in mir, in jedem Menschen, der sich von der Wahrheit des Evangeliums ergreifen lässt, um in der eigenen Lebensgestaltung in den Spuren Jesu zu gehen, und das, was ich vom Evangelium begriffen habe (und sei es auch noch so wenig), zu leben. Ein solcher Mensch ist dann „in Gott“, griechisch heißt das én-theos, also enthusiastisch, leidenschaftlich von Gott erfüllt. Diese Leidenschaft fehlt mir manchmal schmerzlich in unseren Kirchen. Der Hinweis „Wegen Umbauarbeiten geschlossen“ macht noch keine Türen auf. Es scheint fast, als wäre manche Ansage eine Trauerrede zum Tod Gottes, und nicht eine Frohbotschaft zum Leben des Geistes.

Leidenschaft, das ist eine, die mitleidet. Christian de Chergé, der ermordete Prior des Klosters von Tibhirine in Algerien, dessen Todestag sich diese Woche zum 18. Mal jährt, hat einmal sinngemäß gesagt:

„Wir bleiben gekreuzigt, horizontal ausgestreckt in der Not der Welt, vertikal zwischen Himmel und Erde, um die verborgene Gegenwart Gottes in jedem Geschöpf zu enthüllen, die seine Qualität und Authentizität ausmacht, einfach weil GOTT DA IST.“