Bibelkommentar zu Matthäus 16, 13 - 20

Es ist ein schwieriger Abschnitt im Neuen Testament. In der Forschung wird gefragt, welche der Zeilen dieses Textabschnittes aus dem Matthäus-Evangelium von Jesus selbst stammen könnten, welche Gedanken und Formulierungen übernommen wurden aus dem Markus-Evangelium, aus Traditionen rund um Petrus, was von Matthäus wie bearbeitet wurde.

Und es ist eine herausfordernde Textstelle, weil die Deutung dieses Abschnittes in all den Jahrhunderten zentral ist für das Verständnis des „Petrusamtes“ und für die damit verbundenen Konflikte. In der sogenannten „östlichen“ Deutung dieser Zeilen, die auch zur Zeit der Reformation weit verbreitet war, wird das Bekenntnis, bzw. der Glaube des Petrus als „der Fels“, das Fundament der Ekklesia (zu Deutsch „der Versammlung“) verstanden. Augustinus deutete Christus als das Fundament der Ekklesia. Und die römische Deutung versteht Petrus und nach ihm den Papst als den Fundamentfelsen der Kirche.

Helga Kohler-Spiegel
ist Professorin an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg (Humanwissenschaften – Pädagogische Psychologie und Religionspädagogik), Psychoanalytikerin, Psychotherapeutin und (Lehr-)Supervisorin

Zuerst aber geht es in diesem Abschnitt um Jesus: Seine heilenden Kräfte machten ihn schnell bekannt, viele Menschen wollten von ihm geheilt werden. Die Messiasvorstellung war damit wohl nicht verknüpft. Jesus beruft, er feiert, er heilt, diese Aspekte stehen am Beginn seines Weges und seiner Verkündigung im Vordergrund. Und dann bleibt Jesus nicht bei seinen Heilungen, sondern wird immer pointierter in seiner Botschaft. Die Konflikte mit den „Pharisäern“ und den „Schriftgelehrten“ oder anderen Vertretern der damals offiziellen Religion werden immer heftiger; zugleich ziehen sich auch zahlreiche seiner Anhänger zurück.

Selbst- und Fremdeinschätzung

Und so fragt Jesus: "Aber ihr, wer sagt ihr, dass ich sei?“ Das Bekenntnis des Petrus ist in der Sprache der Verkündigung formuliert: Du bist der Christus, der Messias, Sohn des lebendigen Gottes, der in der Geschichte handelt, der „da“ ist, der „mitgeht“… Identität ist ja die Verbindung von Selbst- und Fremdeinschätzung. Wie ich mich selbst sehe, hängt notwendig damit zusammen, wie mich die Menschen in meiner Umgebung sehen, was sie mir zutrauen, was sie von mir halten. Auch Jesus ringt um seine Identität, um sein Selbstverständnis. In einem mittlerweile 40 Jahre alten Text von Wilhelm Willms heißt es:

"jesus
du hast alles auf den kopf gestellt
du hast die frommen
der unmenschlichkeit überführt
...
du hast dirnen und zöllnern
mehr sensibilität
nachgesagt für das reich gottes
als schriftgelehrten und hohenpriestern
...
du hast dich zu allen
an den tisch gesetzt
und alle zu dir an den tisch geladen…“
(Wilhelm Willms, Der geerdete Himmel. Wiederbelebungsversuche, Kevelaer 1974, Nr. 2.6)

Es bleibt die zentrale Frage an Christinnen und Christen – und vielleicht auch darüber hinaus: "Aber Ihr, wer sagt ihr, dass ich sei?“

Erfüllte Zeit
Sonntag, 24.8.2014, 7.05 Uhr, Ö1

Und dann steht Petrus im Mittelpunkt. Im heutigen Text des Matthäus-Evangeliums zeigt sich der Platz, den Petrus zugesprochen bekommt. Vermutlich hatte er teilweise eine besondere Stellung in der Gruppe der Jünger und dann in den ersten christlichen Gemeinden. Eine solche hatten aber auch Jakobus, Johannes, Paulus und wohl andere Personen auch. Einiges ist von Petrus überliefert, im Matthäusevangelium steht Petrus für den Sprecher der Jünger und für den „typischen Schüler“ Jesu. Und zugleich ist Petrus eindrücklich in seiner Spannung von Verhalten und Fehlverhalten. Er wagt den Glauben und versagt, er bekennt seinen Glauben an Jesus und er scheut vor dem Leiden zurück, er ist mit Jesus und vermag zugleich in Gethsemane nicht zu wachen, er verschläft das Ringen Jesu und seine Angst. Petrus ist eine einmalige Gestalt, und er zugleich die „Grundgestalt“ des Jüngers, denn er tut das, was Jünger immer wieder tun: Er verleugnet Jesus und bereut, er ist Bekenner und Verleugner, er ist mutig und schwach. Und vermutlich wurde er gerade auch deshalb zur Grundgestalt für „Ekklesia“.

Petrus als Pförtner

„Ekklesia“ beschreibt in der griechischen Antike die Volksversammlung, ein entscheidender Ort für die damals politische Gemeinschaft. „Ekklesia“ beschreibt die Versammlung des Volkes Gottes, der Gemeinde, auch „Kirche“ genannt. Im Bild vom Fels sind Dauerhaftigkeit und Stabilität als Basis für die „Gemeinde Jesu“ verankert. Eschatologische Bilder spielen mit, d.h. im Neuen Testament die Vorstellung, dass die Endzeit und das Wiederkommen des Messias bereits erwartbar nahe sind. Petrus wird mit den Schlüsseln als Verwalter, als Pförtner vorgestellt. „Binden und lösen“ ist ein rabbinisches Begriffspaar und bezieht sich auf die Auslegung der Thora und auf das Lehren der Thora. Mit dem Sprachspiel „Petrus“ als Name und „Petros“ für übersetzt „Fels“ wird Petrus mit all seinen Widersprüchlichkeiten zur Grundgestalt, die all das weitergeben soll, was Jesus gelehrt hat.

Der Abschnitt aus dem Matthäusevangelium bleibt ein, finde ich, beladener, ein schwieriger Text. Es geht um Jesus – und es geht um Petrus:

• Wenn Christinnen und Christen Jesu Menschsein ernst nehmen, dann ist die Frage nach Jesu Identität eine Frage damals – und bis heute: "Aber Ihr, wer sagt ihr, dass ich sei?“

• Petrus ist ein Modell für Christsein: Petrus ist verbunden mit Jesus, und Petrus ist ein Mensch – mit all seinen Ambivalenzen, manchmal mutig und manchmal voll Angst, manchmal stark und manchmal versagend. Vermutlich ist er gerade darin eine „Grundgestalt“ von Kirche.