Kurzessay zu Matthäus 22, 34 – 40

70 nach Christus: Die Römer zerstören den Tempel in Jerusalem. Für die judenchristlichen Gemeinden geht damit ein zentraler Bezugspunkt religiöser Identität verloren: der Kultort des Opfers.

Zehn Jahre später verfasst ein judenchristlicher Lehrer namens Matthäus eine Art „Handbuch“ über Jesus von Nazareth. Dieses verdichtet die Antworten der sogenannten Matthäusgemeinde auf die Frage: Wer sind wir? Das Evangelium, die Botschaft des Jesus von Nazareth, wird dabei ganz in der Tradition Israels stehend erzählt, daher auch die vielen Zitate aus Büchern des Alten Testaments. Diese waren ja auch die liturgischen Texte der ersten christlichen Gemeinden.

Regina Polak
ist Pastoraltheologin an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien

Diese Kontinuität mit dem jüdischen Glauben fasziniert mich auch in diesem Text. Jesus von Nazareth nennt das wichtigste Gebot: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Jesus nennt damit eine Art Interpretationsschlüssel: Gesetz und Propheten sind im Licht dieser beiden Gebote zu interpretieren. Beide Gebote sind nicht neu. Jesus zitiert das höchste Gebot des Judentums, das Schema Israel, das Höre Israel aus dem Buch Deuteronomium 6,5, das die Gottesliebe zur obersten Verpflichtung macht. Auch das Gebot der Nächstenliebe findet sich bereits im Buch Levitikus.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 26.10.2014, 7.05 Uhr, Ö1

Aufregend ist nun die Kombination beider Gebote. Nun wird die Nächstenliebe zum Indikator, ob es jemand mit der Gottesliebe ernst meint. Auch dieser Gedanke findet sich bereits in der rabbinischen Tradition. Aber dank Jesus von Nazareth kommt er jetzt auch zu den Heiden, den andersreligiösen, nichtjüdischen Völkern, die sich dann Christen nennen.