Bibelessay zu Lukas 7, 1 – 10

Besonders in der ersten Zeit seiner Verkündigung zeigt sich Jesus als einer, der bei den Menschen ist, der Geschichten erzählt und Wunder tut. Wie soll er denn reden vom „Reich Gottes“, wenn nicht in Geschichten und Wundern?

Beispielgeschichten und Gleichnisse erzählen immer wieder in Bildern von diesem „gelungenen Leben im Sinne Jesu“: Mit dem Reich Gottes ist es z.B. wie mit einem Festmahl, bei dem alle eingeladen sind, alle einen Platz haben am Tisch. Mit dem Reich Gottes ist es wie mit einem Samenkorn oder einem Senfkorn, anfangs ist es so klein, dass man es kaum sehen kann. Und dann wächst es und wird zur größten Staude. Jesus braucht Gleichnisse, Vergleiche, um über das Reich Gottes zu reden. Er braucht Geschichten, um über etwas zu reden, was da ist – und doch noch nicht da ist.

Helga Kohler-Spiegel
ist katholische Theologin, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin

„Sprich nur ein Wort...“

Und Jesus tut Wunder. Thomas Meurer nennt sie „Geschichten vom unerwartet guten Ausgang“. Wunder zeigen, wie Menschen sich das Leben im „Reich Gottes“, im „Raum Gottes“ vorstellen können. Ein Hauptmann, mit fremder Religion, liebt seinen Diener so sehr, dass er alles in Bewegung setzt, um ihn zu retten. Jesus zögert zuerst, und kommt dann tatsächlich zu spät. Keine Hilfe, keine Rettung mehr. Und dennoch bezeugt der Hauptmann seinen Glauben: Jesus hat die Macht, die sonst nur Gott selbst zusteht: Jesu Wort schafft Leben. Das kann nur Gott selbst.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 29.5.2016, 7.05 Uhr, Ö1

Am Beginn der Schöpfung schafft Gott aus dem Wort, im Schöpfungshymnus am Beginn der hebräischen und christlichen Bibel heißt es: „Gott sprach, es werde Licht. Und es ward Licht.“ Jesu Wort schafft Leben – ganz konkret. Der Diener ist am Ende der Begegnung mit Jesus wieder gesund. Die Bitte des Hauptmannes lässt auch an eine Heilung im Inneren des Menschen denken, wenn es heißt: „Sprich nur ein Wort… – und ich werde gesund“. Ich weiß, wie sehr manchmal ein Wort Leben schaffen kann, ich weiß, wie erlösend ein Wort sein kann, wenn gesagt wird: „Es ist nichts passiert, er oder sie ist unverletzt.“ Oder: „Ich bin dir nicht mehr gram. Sind wir einander wieder gut?“ Oder ganz einfach: „Ich liebe dich, ich hab dich gern.“

Freunde holen Hilfe

Wie immer sind verschiedene Aspekte in einem Bibeltext zu finden, einen greife ich noch heraus: Die Ältesten der Juden bitten Jesus inständig um Hilfe, der Hauptmann sei es wert, sagen sie, er liebe das Volk, er sei fürsorglich, er baute sogar als Nicht-Jude den Juden eine Synagoge. Oft ist es leichter, sich für andere einzusetzen als für sich selbst. Der Hauptmann sagt nämlich von sich: Ich bin es nicht wert. Ich bin nicht würdig. Selbstwert und Anerkennung, weil ich bin und weil ich so bin, wie ich bin – das sagt sich so leicht. Die moderne Psychologie nennt dies die zentralen Nahrungsmittel für den Menschen: Gesehen werden, Zuneigung erfahren und anerkannt sein. Die Ältesten in der Gemeinde sagen es: Er ist es wert, du bist es wert.

Es macht ein wenig den Eindruck, als wäre es für den Hauptmann nicht einfach, diese Unterstützung durch die Ältesten anzunehmen. Bei dieser Szene denke ich mir, wie schön es ist, Freunde zu haben, die Hilfe holen, wenn ich es selbst nicht kann oder mich nicht getraue. Und hier geschieht diese Unterstützung sogar über die Religionsgrenzen hinweg: Der nicht-jüdische Hauptmann unterstützt die Juden, die jüdischen Ältesten stehen für den Hauptmann ein. Wunderbar, finde ich.