Bibelessay zu Lukas 17, 11 – 19

Dieser Text ist sehr lebensnahe und realitätsbezogen. Aussatz bedeutet mehr als irgendeine Krankheit. Aussatz ist unheilbar und bedeutet Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben, totale Absonderung und Isolierung, ohne Kontakt zu den Menschen und zur Umwelt.

Aussatz gehört somit zum Schlimmsten, was einem Menschen im Leben passieren kann. Auch unsere Sprache kennt diese Redewendung: Ein Mensch wird behandelt wie ein „Aussätziger“ - das meint: Dieser Mensch ist ausgeschlossen, isoliert, abgesondert. Das kann tödlicher sein als eine Krankheit und ein Gebrechen.

P. Karl Schauer

ist Bischofsvikar der Diözese Eisenstadt

Der ganze Mensch

In dieser Ausweglosigkeit wenden sich die zehn Aussätzigen schreiend dem zu, von dem sie Hilfe und Heil erwarten dürfen. Sie können mit ihm nicht in Kontakt treten, sie können ihn nicht berühren, denn diese Krankheit lässt keine menschliche Nähe zu. Es bleibt nur der Aufschrei der Verzweiflung, der Ausbruch der ganzen Hoffnungslosigkeit, die Tränen derer, die zum Tod verdammt sind.

Was berechtigt sie zu der Hoffnung, von Jesus geheilt zu werden und warum haben sie nicht von Anfang an auf die Wunderheiler und Spezialisten gesetzt, die berufen waren, mit diesem Elend umzugehen und den Aussatz zu heilen?

Erfüllte Zeit

Sonntag, 9.10.2016, 7.05 Uhr, Ö1

Wenn in den Evangelien diese und ähnliche Heilungsgeschichten berichtet werden, dann geht es vordergründig nicht um irgendein Krankheitsbild oder um irgendein spektakuläres Wunder, das auch heute nicht geschieht, sondern es geht um den ganzen Menschen und seine Beziehung zu Gott.

Einer kehrt um

Vielleicht ist der Mensch erst dann fähig, Gott wirklich zu begegnen, wenn er ihm ausgeliefert ist. Die oft oberflächlichen Lebenskomponenten des Menschen, der allein auf das Machen setzt und auf den Anspruch, von dem er meint, dass er ihm zustehen würde, oder andererseits im Elend der Verzweiflung und der Sinnlosigkeit des Lebens erstickt, fallen hier weg. Die Begegnung mit Jesus bringt Heil, gibt dem Leben Zukunft, dem Menschen seine Würde. Er wird aus der Isolation der Selbstsicherheit, der Überheblichkeit und des Um-sich-selbst- kreisens herausgeholt.

Aber nur einer kehrt um, zum Danken bereit. Einer, der nicht zur Gesellschaft, nicht zu den Frommen gehört, ein Fremder, ein Unwissender, ein Ausgestoßener. Die anderen neun machen sich aus dem Staub, sie haben die Begegnung mit ihm verspielt und ihr Leben in der Ausgesetztheit verpasst. Jesus fordert in diesem Evangelium keine Gegenleistung, er belässt die Menschen in ihrer Freiheit, eigentlich in der Unfreiheit ihrer Selbstbefangenheit. Gott gängelt den Menschen nicht, er drängt sich ihm nicht auf.

Quelle von Lebenssinn

Wenn ich dieses Evangelium höre und hoffentlich auch verstehe, möchte ich mich eigentlich mit diesem Fremden, Unbeachteten, von den Frommen Missachteten identifizieren dürfen. Bitten und Danken sind zwei Grundäußerungen, die im Leben des Menschen, in meinem Leben geschehen müssen, damit mein Leben nicht flach und banal wird. Eine Gesellschaft, in der das Bitten und Danken immer seltener wird, entwickelt zerstörerische Kräfte. Egoismus, übertriebene Ansprüche, Gier, Ängste, vor allem die Angst des Zukurzkommens, Geiz, Neid und Abgrenzung nehmen dort den Platz ein, wo die Ahnung geschwunden ist, dass ich mein Leben in seiner aufregenden, überraschenden und oft auch gegenläufigen Entfaltung nicht planen kann. Ich darf gestehen, bei dem, was mein Leben groß, aufregend, hoffnungsvoll macht, komme ich ohne Gott letztlich nicht aus. Vieles bleibt unerklärlich, im Geheimnis geborgen.

Das verweist mich auf den, den ich Gott nennen darf, der mir oft fern und fremd, und dann wiederum beschenkend nahe ist. Ich ahne, dass er mir eine Quelle von Lebenssinn erschließt, wenn ich ihn als gestaltende Kraft in mein Leben einlasse. Leid und Trauer, Unsicherheit und Angst, das Ausgesetztsein auf den Klippen der Abgründe bleiben mir auch nicht erspart. Dennoch möchte ich ihn, diesen Gott meines Lebens bitten und trotz allem möchte ich ihm auch danken.