Bibelessay zu Lukas 1, 26 – 38

Dieser Abschnitt ist von einer doppelten Dynamik. Er ist einerseits voll von Anspielungen und Zitaten aus dem Alten Testament, zum anderen bestimmt von der Begegnung zwischen dem göttlichen Boten und Maria.

So hat es mich immer gewundert, wie Maria auf die Ansage des Engels reagiert, der ihr nichts weniger verkündet, als dass sie die Mutter des Messias, des von biblischen Verheißungen verkündeten Retters Israels sein würde. Unaufgeregt gibt sie zu verstehen, dass es sich wohl um die falsche Adresse handeln müsste. Wie kann eine Frau, die noch nie mit einem Mann geschlafen hat, ein Kind gebären?

Gerhard Langer
ist Theologe und Judaist

„Für Gott ist nichts unmöglich“

Die Antwort des Engels ist ebenfalls erstaunlich. Denn er verweist nicht nur auf die Möglichkeit, als Jungfrau mit Gottes Kraft schwanger zu werden, er bringt auch das Beispiel der Elisabeth ein, die ein Kind gebar, obwohl sie als unfruchtbar galt. Unzweifelhaft steckt dahinter die Erinnerung an die Geschichte der unfruchtbaren Hanna im alttestamentlichen Buch Samuel, die schließlich den Propheten Samuel gebiert. Sie erinnert aber auch an die unfruchtbare Sara, deren Sohn Isaak zu einem wichtigen Stammvater Israels wird.

Der entscheidende Satz lautet „Denn für Gott ist nichts unmöglich“. Bei aller großartigen Verkündigung der Einzigartigkeit des künftigen Sohnes ist es die Zusage der Nähe und Zuwendung Gottes an die Frau, die diesen Text so besonders macht. Während etwa im alten Ägypten der Gott Amun-Re der noch jungfräulichen Königsgattin den Thronerben ankündigt, ist es hier nicht eine Frau aus dem Herrscherhaus, sondern ein einfaches jüdisches Mädchen vom Land. Es ist also nicht die Aussage, dass eine Jungfrau ein Kind gebären wird, die so völlig neu gewesen wäre. Vielmehr ist sie neben den ägyptischen auch in altorientalischen, gelegentlich in griechischen und persischen Quellen vertraut. In Persien etwa galt der endzeitliche Retter als vom Samen Zarathustras gezeugt, den eine im See badende Jungfrau aus dem Wasser empfangen habe.

„Die Hungernden beschenkt er“

Die Erwählung Marias ist dennoch besonders. Der Verkündigung des Engels folgt eine Zusage der jungen Frau, ein Einverständnis, ein bewusstes Bejahen. Maria ist nicht passiv, sie stellt sich der Botschaft, sie stellt sich bewusst in den Dienst Gottes. Diesem Text folgt das so genannte Magnificat, ein großer Hymnus, ganz in der Linie der biblischen Psalmen, in dem Maria Gottes Größe preist. Zentral darin ist, dass Gott nicht die Mächtigen und Reichen erwählt hat, sondern die niedrige Magd.

Erfüllte Zeit
Donnerstag, 8.12.2016, 7.05 Uhr, Ö1

Hochmut und Macht haben bei Gott kein Ansehen. So heißt es (Lk 1,53): „Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind. Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen“. Erst vom Magnificat her wird die Begegnung mit dem Engel in ihrer Aussage voll verständlich. Die Verkündigung Jesu stellt die bekannte und vertraute Welt auf den Kopf. Maria ist nicht irgendein willenloses Werkzeug in den Händen eines allmächtigen Gottes, die junge Frau ist ein Teil der Botschaft, ein Zeugnis der Zuwendung Gottes zu den Armen, den wenig Beachteten.

Maria ist eine von ihnen

Der große Theologe Dietrich Bonhoeffer konnte daher zurecht sagen: „Es ist nicht die sanfte, zärtliche, verträumte Maria, wie wir sie auf Bildern sehen, sondern es ist die leidenschaftliche, hingerissene, stolze, begeisterte Maria, die hier spricht, ein hartes, starkes, unerbittliches Lied von stürzenden Thronen und gedemütigten Herren dieser Welt, von Gottes Gewalt und von der Menschen Ohnmacht“.

In den Tagen vor Weihnachten ist die Botschaft der Rettung der Welt - so wenig wir vielleicht gerade in Zeiten wie diesen daran glauben mögen - auch als Erinnerung und sogar Mahnung zu verstehen, hinter all dem Glitter und Kitsch, hinter dem lieben Jesulein in der Krippe, nicht die eigentlichen Adressaten der frohen Botschaft zu übersehen, die Armen, die Unterprivilegierten. Maria ist eine von ihnen.