Bibelessay zu Jesaja 35, 1 - 6a. 10

„Jubel und Glück“, „Wonne und Freude“: Mitreißend sind sie, diese Worte aus Jesaja, froh machende Botschaft aus meinem Lieblingsbuch der Bibel! „Wonne und Freude“: im Lateinischen steht dafür „laetitia et gaudium“. Gut ausgewählt für den heutigen dritten Adventsonntag, der „Gaudete“ heißt, „Freuet euch“!

Dabei soll aber nicht übersehen werden: in diesem Abschnitt ist auch von „Wüste und Steppe“ die Rede, von „erschlafften Händen und wankenden Knien“. Mancher dunkle Schatten liegt über der hellen Freude: „Sagt zu denen, die ein ängstliches Herz haben: Seid stark, fürchtet euch nicht!“

Josef Schultes
ist Bibelwissenschaftler

„Fürchtet euch nicht!“

Wie ein roter Faden durchzieht dieser Imperativ die Bibel. Angeblich kommt er darin – ich habe es selber noch nicht nachgezählt – 365 mal vor, genug also für jeden Tag eines Jahres. Als erstes Beispiel fällt mir dazu die Verkündigungsszene ein: „Fürchte dich nicht, Maria!“, so lässt Lukas den Gottesboten Gabriel zur Mutter Jesu sprechen. Doch schon viel früher, im Buch Genesis, derselbe Appell: „Fürchte dich nicht, Abraham!“ Dieses Mal sogar Adonai, Gott in den Mund gelegt. Plus reichem Kindersegen für den fast Hundertjährigen. Ab-rachám, „Vater des Mutterschoßes“: eine Symbol-Figur, um die sich wundersame Geschichten ranken. Viele davon sind erst nach dem Exil in Babylon verfasst. Mit dem großen Ziel: Ermutigung und Hoffnung!

Erfüllte Zeit
Sonntag, 11.12.2016, 7.05 Uhr, Ö1

Der gleichen Zeit entstammt auch dieser Text aus dem Buch Jesaja. Daher erneut: „Fürchtet euch nicht!“ Zwei Worte im hebräischen Original: „al Tira´u!“ Zugesagt von einem Menschen mit Profil, aber ohne Namen. Adressiert an Juden, die sich ängstigen. Sie trauen der neuen Freiheit nicht, noch nicht. Denn der Weg in die einstige Heimat, zurück ins ferne Jerusalem, steht bereits offen. Möglich geworden durch ein Edikt aus dem Jahr 538 v.Chr., erlassen vom Perserkönig Kyros. Dafür wird dem toleranten Herrscher – einzigartig im ganzen Ersten Testament – auch der Titel eines „Messias“ bzw. „Christus“ verliehen, d.h. eines „Gesalbten des Herrn“ (vgl. Jes 45,1).

„Eine Straße wird es dort geben...“

In seinem Bildband ‚An den Wassern zu Babel‘ versetzt sich der evangelische Pfarrer und Autor Jörg Zink in die Gefühlswelt jener Heimkehrer: „Wir treffen keinen Glanz und keine Herrlichkeit an, sondern die Mühe und das Elend. Wir finden kein freies Land. Auf den Äckern unserer Großeltern sitzen längst andere Leute“ (S.194).

„Gott selbst, er wird kommen und euch erretten“, stemmt sich unser Prophet dagegen. Und hämmernd sein Staccato der Zuversicht: Blinde sehen, Taube hören, Lahme springen, Stumme jauchzen! Und – mir unverständlich, dass gerade dieser so wichtige Vers gestrichen wurde – denn da heißt es wörtlich: „Eine Straße wird es dort geben; man nennt sie den Heiligen Weg, via sancta. Kein Unreiner darf ihn betreten. Dort gehen nur die Erlösten“ (Jes 35,8f).

„Deine Wege werden kürzer – fürchte dich nicht“. So lautet der Titel eines Buches mit Gedanken am Ende eines bewegten Lebens. Es stammt von Jörg Zink, einem der renommiertesten evangelischen Theologen im deutschen Sprachraum. Vor drei Monaten ist er im Alter von 93 Jahren verstorben. Seiner Freude an der Bibel verdanke ich manches an meiner eigenen Begeisterung für die Heilige Schrift. Nicht zuletzt für den Propheten Jesaja und seine tiefe Überzeugung: „Gott ist im Kommen...“