Bibelessay zu Matthäus 1, 18 – 24

Jungfrauengeburt - Ob nun Folge eines Übersetzungsfehlers aus der hebräischen Bibel, ob Ausdruck patriarchaler Abwertung der Sexualität oder Echo antiker Mythen von der Vereinigung Gottes mit dem Menschengeschlecht...

– Ich will das jetzt nicht diskutieren und mich beschränken auf die im Christentum wohl gängigste Deutung: Jungfrauengeburt als Bild dafür, dass Gott einen völligen Neuanfang in der menschlichen Geschichte setzt.

Markus Schlagnitweit
ist Hochschul-, Akademiker- und Künstlerseelsorger der Diözese Linz

Neuanfang

So ein Neuanfang wäre allenthalben bitter nötig – für die Welt als Ganzes nicht weniger als für viele einzelne von uns. Nur: „Neuanfang“ – das sagt sich so leicht. Ist es aber nicht. Ob nun in der Politik, in der Wirtschaft oder im persönlichen Lebenswandel: Es ist ganz offensichtlich schwer, einmal eingeschlagene Wege zu verlassen und wirklich neu und von vorne zu beginnen. Wem gelingt es denn schon auf ganz individueller Ebene, wenn nicht eine schwere Gesundheitskrise bzw. ein beruflicher oder sonstiger persönlicher Schiffbruch dazu zwingt? Um wie viel schwieriger ist es noch auf gesellschaftlicher Ebene, ganz neu anzufangen!

Die biblische Rede von einer Jungfrauengeburt als Metapher für einen völligen Neuanfang von Null weg – diese Rede mag Ausdruck uralter menschlicher Sehnsucht und Erkenntnis von der Notwendigkeit solcher Neuaufbrüche sein. Was aber braucht es, damit es wirklich zu einem Neuanfang kommen kann?

Erfüllte Zeit
Sonntag, 18.12.2016, 7.05 Uhr, Ö1

Theologie und kirchliche Verkündigung legen diesen völligen Neuanfang gerne in die Hände Gottes: „Er ist es, der diesen völligen Neuanfang setzt in seiner Menschwerdung“, so lautet die gerade in diesen Tagen des Advent und der baldigen Weihnachtszeit wohl oft zu hörende Botschaft. Aber macht es diese Botschaft ihrem Publikum nicht zu leicht und zu gemütlich? Klingt das nicht nach einer Art „Selbst-Dispens“ – frei nach: „Der Papa wird’s scho richt’n; des g’hört zu seine Pflicht’n ...“?

Aus den Träumen erwachen

Es mag schon stimmen, dass der Mensch den Neuanfang nicht einfach aus eigener Kraft schafft, dass diesen vielmehr Gott setzt. Aber deshalb ist der Mensch noch lange nicht „aus dem Schneider“! Das Evangelium des 4. Adventsonntags stellt uns deshalb nicht von ungefähr den biblischen Nährvater Josef vor – und zwar als gar nicht so gemütlich und unbeteiligt am weihnachtlichen Geschehen, wie er zuweilen dargestellt wird: Auch er ist mit einer Herausforderung konfrontiert.

Seine Verlobte erwartet ein Kind von Unbekannt. Es heißt, dass er bereits beschlossen hatte, die Verlobung zu lösen, und dass er nur noch über das Wie nachdachte. Klar – alles andere hätte ja eine empfindliche Störung seines bis dahin unauffällig-ruhigen Lebenslaufs bedeutet, hätte bedeutet, sein Leben neu aufsetzen zu müssen. – Dann heißt es, dass Josef träumte. – Vielleicht meint die Bibel mit „träumen“ genau das: zu hoffen, es könne alles einfach so weitergehen, als ob nichts wäre. – Schließlich erzählt die Bibel aber davon, dass Josef erwachte und wie er genau das tat, womit der von Gott gesetzte Neuanfang auch in dieser Welt ankommen und Wirklichkeit werden konnte: Josef lässt sein Leben von der göttlichen Störung in Anspruch nehmen.

Das könnte die Kernaussage dieser Erzählung sein: Gott setzt einen Neuanfang. Aber der Mensch muss aus seinem schläfrigen Träumen erwachen und sich in Anspruch nehmen lassen, damit dieser Neuanfang auch wirklich werden und im Leben ankommen kann. Die große Josephine Baker hat es einmal so formuliert: „Träume kann man nur verwirklichen, wenn man sich entschließt, daraus zu erwachen.“