Bibelessay zu Matthäus 4, 12 - 23

Der Evangelist Matthäus schildert in diesem Abschnitt einen wichtigen Teil des Wirkens Jesu in Zeitraffer. Nachdem Jesus von der Verhaftung Johannes des Täufers gehört hat, zieht er sich in einen entlegenen Teil des Sees Genezaret in Galiläa zurück, beruft im Schnellverfahren seine wichtigsten Jünger, predigt in den Synagogen und wirkt als Heiler und Wundertäter.

Zweifellos wäre dies Stoff für einen dicken Roman oder einen abendfüllenden Film. Gerade die Kürze der Darstellung zwingt aber zur Aufmerksamkeit. Zentral ist die Aussage, dass sich mit dem Auftreten Jesu in diesem Teil von Galiläa eine uralte Prophezeiung des Alten Testamentes erfüllen würde. Der Prophet Jesaja nämlich hatte von diesem Landstrich nichts Gutes zu berichten gehabt. Eine gottverlassene Region war es, ein Landstrich, der besonders unter dem Zorn Gottes zu leiden hatte. Jesaja sah sein Volk in die Irre gehen, vor allem warf er ihm mangelndes Vertrauen vor und falsche politische Entscheidungen. Die Folge war Besatzung und Fremdherrschaft.

Gerhard Langer
ist katholischer Theologe und Judaist

Wanderprediger statt Prinz

Jesaja stellte aber auch eine Änderung der Verhältnisse durch Gott in Aussicht. Er sprach von Aufbruch, von einem Licht, das die Finsternis durchbricht. Für den Propheten konkretisierte sich diese Hoffnung sehr wahrscheinlich in der Person des Thronfolgers, eines politischen und gesellschaftlichen Erneuerers.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 22.1.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Jahrhunderte später wurde diese Erwartung zum Inbegriff messianischer Hoffnung. Nicht ein Prinz aus dem Herrschergeschlecht, sondern ein Wanderprediger namens Jesus sollte nach Ansicht des Matthäus diese Hoffnung erfüllen. Wie ein Prophet mahnt er zur Umkehr, wie einst Elija oder Elischa vollbringt er Wunder und heilt Menschen. Dazu lehrt er in den Synagogen, legt die Schrift aus. Mit dieser Tätigkeit – so meint Matthäus – bringt er Gott zu den Menschen, erleuchtet sie. Vor allem aber vermag er die Menschen vom Fleck weg zu begeistern und in seinen Bann zu ziehen, sodass sie ihm bereitwillig folgen. Ob die Berufung der Jünger so einfach war, bleibt dahingestellt.

Begeisterung des Anfangs

Einen modernen säkularen Menschen wie mich erstaunt gerade angesichts vieler problematischer Heilsbringer der Gegenwart, wie plötzlich, wie kompromisslos die ehemaligen Fischer zu Jesusjüngern werden, wie schnell sie bereit sind, ihre Familien zu verlassen und zu Predigern zu werden. Die Botschaft Jesu, sein Auftreten, sein Handeln hat in den Evangelien selten etwas Leichtes, Einfaches, Unbeschwertes. Vielmehr enthält sie eine Radikalität, etwas Unbedingtes.

Die Begeisterung dieses Anfangs, die Klarheit der Botschaft Jesus erstaunt und fasziniert mich jedes Mal aufs Neue. Und ich finde, es ist gut so. Bei aller berechtigten Kritik an radikalen Predigern, bei aller berechtigten Vorsicht vor den Seelenfängern, die es in jeder Religion oder politischen Bewegung gibt, wünsche ich mir ein Maß an Begeisterungsfähigkeit, ein wenig von dieser atemlosen Hingabe des Anfangs in der Jesusbewegung. Als Lehrer und Erwachsenenbildner stehe ich in gewisser Weise auch in der Nachfolge der Menschenfischer im Sinne eines Auftrages, nicht nur Hirn und Verstand anzusprechen, sondern auch Begeisterung zu wecken, Perspektiven aufzuzeigen, aber auch zu mahnen, für das Richtige und gegen das Falsche einzutreten, Position zu beziehen und letztlich: Hoffnung zu erzeugen.