Bibelessay zu Matthäus 5, 1 - 12a

Wenn ich mir die Seligpreisungen aus dem Matthäus-Evangelium aufmerksam anhöre, scheinen sie mir so gar nicht „fein und selig wie ein schlafendes Kind“ zu sein. Sie führen den Zuhörer, die Zuhörerin eher in Konflikte, zumindest die letztgenannten.

"Selig“ wird da gepriesen, wer für die Gerechtigkeit protestiert, aber dafür Verfolgung erleidet. Selig klingt einerseits ein wenig jenseitig. Andererseits kann „selig“ eine Art von Glücklich-Sein bezeichnen? Wie glücklich sind Menschen, die Beschimpfung und Verleumdung erleiden, so wie es Matthäus schreibt? Danach soll Jesus eine Reihe von ausgesprochen gewaltfreien, friedlichen Tugenden „selig“ genannt haben: Barmherzigkeit, Friedenswilligkeit, ein „reines Herz“ zu haben, aber auch das „Arm Sein vor Gott“?

Severin Renoldner
ist katholischer Theologe und Leiter des Sozialreferates im Pastoralamt der Diözese Linz

Verfolgte und Friedensfreunde

Was für Menschen sind das, die Jesus zufolge selig sind, und solche hohen Charaktereigenschaften besitzen? Ihnen scheint es vorrangig um die anderen zu gehen, oder besser: um die Gesamtheit der Menschen. Diese „Seligen“ sorgen sich darum, dass alle genug bekommen, sie möchten den Zusammenhalt und Frieden unter den Menschen stiften. Und sie wollen Gott nahe sein.

Es sind aber auch Trauernde unter ihnen, Verfolgte, Beschimpfte, Verleumdete – solche Menschen also, denen Gerechtigkeit und Glück abgeht wie ein Bissen Brot. Sie sollen getröstet werden, satt sollen sie werden, ihre Wünsche und Sehnsüchte sollen gestillt, erfüllt werden. Ihr Verlangen nach Frieden soll wirklichen Frieden finden – ein wunderbarer Optimismus, den ich nicht durch eine ironische Bemerkung gefährden möchte.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 29.1.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Jesus, der hier über Verfolgte und Friedensfreunde redet, spricht ihnen Erfolgsaussichten zu: der Erfolg wird kommen. Der Friede wird da sein, die Gerechtigkeit wird wahr werden. Immerhin gehörte Jesus selbst zu den Verfolgten. Er streut also keine billigen Trostworte, und keine leeren Versprechungen aus, sondern echte Zuversicht. Jesus sagt nicht mehr und nicht weniger, als: dass es Sinn hat, sich für das Gute, für die Gerechtigkeit, die Stillung des Hungers, den Frieden und die Versöhnung zu engagieren.

Vorahnung für das Richtige

Matthäus kleidet diese Worte in eine große Rede vor tausenden Menschen. Die Botschaft ist: Ich soll mich auf diesem Weg nicht beirren lassen, wenn ich zwischenzeitlich lächerlich aussehe, wie ein naiver Verlierer dastehe. Denn das Ziel ist die Zusage: Der Friede wird kommen.

Jesus stellt etwa die Frage nach dem Besitz von Grund und Boden: Jene, die keine Gewalt anwenden, werden – wörtlich – „das Land erben“. Stimmt das? Sind es nicht viel eher die Gewalttäter oder gerissene Geschäftsleute, die den Grundbesitz an sich bringen, als friedliche Menschen? Der Bergpredigt Jesu nach eindeutig: nein. Ihr Besitz ist nicht von Dauer. Das mit Gewalt an sich Gerissene, das durch Übervorteilung Erworbene bleibt nicht. Im Evangelium verweist die Zuversicht auf Gott: Die selig Gepriesenen werden „Gott schauen“, heißt es, oder „Söhne und Töchter Gottes genannt werden“.

Vielleicht erfahre ich gerade in dieser „Jenseitigkeit“ den Grund, warum diese Menschen dennoch schon jetzt glücklich sein können: In der Vorahnung, für das Richtige, das Dauerhafte, das Wahrhaftige einzutreten, liegt auch ein gutes Stück Trost darüber, wenn ich im Augenblick nicht erfolgreich bin.