Bibelessay zu Genesis 3, 1 - 19

Freiheit und Verantwortung sind die Schlagworte, mit denen die evangelischen Kirchen 500 Jahre Reformation feiern. Dass Freiheit und Verantwortung zusammengehören wird auch in der sogenannten Geschichte vom Sündenfall deutlich: Adam und Eva - so erzählt Genesis 3 - erleben im Garten Eden völlige Freiheit.

Sie leben in ungetrübter Gemeinschaft mit Gott und es ist alles da, was sie brauchen. Allerdings ist unter all den guten Früchten des Gartens auch eine, vor der sie gewarnt sind. Es ist die Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, von der Gott zu Adam gesagt hat: „Von dem sollst du nicht essen, denn sobald du davon isst, musst du sterben“. Es ist eine Warnung, die Gott ausspricht; und doch - so zeigt es der Verlauf der Geschichte - lässt Gott es dem Menschen frei, sich daran zu halten oder auch nicht.

Stefan Schröckenfuchs
ist Superintendent der evangelisch-methodistischen Kirche in Österreich

„Wo bist du?“

Es geht in dieser Erzählung nicht darum, ein historisches Ereignis festzuhalten. Adam und Eva sind vielmehr der Prototyp des Menschen schlechthin. Ihre Geschichte wiederholt sich Generation für Generation. Jedem Menschen liegen in seinem Leben unzählige Möglichkeiten vor den Händen. Nicht alle davon sind gut, nicht jede dient dem Leben.

Manchmal - wie in Genesis 3 - lassen sich die Folgen einer Entscheidung nicht vorab abschätzen: Adam und Eva fehlt noch die Erkenntnis von Gut und Böse. Die göttliche Warnung ist ihre einzige Orientierung. Ob sie sich daran halten ist eine Frage des Vertrauens zu ihrem Schöpfer. Geschickt stellt die Schlange genau dieses Vertrauen in Frage. Und es dauert nicht lange bis Eva und Adam von den Früchten des Baums essen. Jetzt gehen ihnen tatsächlich die Augen auf - doch anders, als sie es erwartet haben: Denn jetzt fühlen sie sich nackt. Darum verstecken sie sich - aus Angst, dass sie bloßgestellt werden. Und unmittelbar erklingt schon der Ruf Gottes, der sich seinerseits nach der Gemeinschaft mit dem Menschen sehnt: „Wo bist du?“

Freiheit und Verantwortung

So kommen in dieser Geschichte tatsächlich Freiheit und Verantwortung zusammen: die Freiheit des Menschen, alles zu tun was ihm möglich ist - auch das, wovor er gewarnt, ja was ihm verboten ist. Gott hindert Adam und Eva nicht; der Mensch aber hat sich zu verantworten. Und die Frage nach der Beziehung ist die erste, die eine Antwort fordert: Wo bist du? Und auch die weiteren Folgen des Vertrauensbruchs sind zu tragen: Das sorglose Leben im Garten Eden ist vorbei.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 5.3.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Die Geschichte von Adam und Eva wiederholt sich in der biblischen Überlieferung unmittelbar: Auch Kain, den nur eine Generation später der Neid auf seinen Bruder Abel frisst, wird von Gott vor seiner Tat gewarnt. Dennoch ist niemand da, der Kain hindern würde, Abel zu erschlagen. Verantworten aber muss sich auch Kain, und nun lautet die Frage: „Wo ist dein Bruder?“ Und auch er trägt die Konsequenzen seiner Tat.

Und so erlebe ich es selbst auch immer wieder: Gott lässt es mir frei, was ich tatsächlich tue. Nicht alles, was möglich ist, ist gut. Vor so manchem wäre der Mensch freilich gewarnt. Darum wird er auch Antworten geben müssen: Weshalb versteckst du dich? Und: Wo ist dein Bruder?