Bibelessay zu Genesis 22, 1 - 13

Isaaks Opferung, hundertfach auf Bildern dargestellt und immer wieder erzählt, ist eine der schwierigsten Geschichten der Bibel. Sie zeigt einen Abgrund menschlichen Verhaltens und einen finsteren Gott.

Vieles bleibt offen und ungesagt. Seine Mutter Sara etwa kommt gar nicht vor. Während die christliche Auslegung ganz auf Abraham blickt und ihn als Vorbild für unbedingten Glaubensgehorsam deutet, stellt sich die jüdische Auslegung ganz auf die Seite des Isaak. Im gefesselten Isaak in Todesgefahr sieht das jüdische Volk das eigene Schicksal. Im Judentum heißt die Geschichte auch nicht Isaaks Opferung, sondern „Isaaks Bindung“. Sie wird als Rettungsgeschichte verstanden und beim Neujahrfest gelesen, begleitet vom Blasen des Schofar, des Widderhorns.

Michael Bünker
ist Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich

Alle Versuche, aus der Geschichte allgemeine Lehren und Wahrheiten abzuleiten, stoßen an Grenzen. Es lässt sich nicht nachweisen, dass es um die Ablösung eines angeblich damals allgemein üblichen Menschenopfers durch das Tieropfer gegangen ist. Es geht auch nicht pauschal um Gewalt in der Familie, das Schweigen der Mütter und die Vater-Sohn-Konflikte, wie im griechischen Ödipus-Mythos. Sie belegt auch nicht allgemein die erschreckende Bereitschaft der Menschen zum Gehorsam gegenüber irgendwelchen Autoritäten, wie es das berühmte Milgram-Experiment versucht hat. Und schließlich heißt es Vorsicht, wenn Abraham aufgrund dieser Geschichte zum Glaubensvorbild gemacht wird. Es ist ja offen, worin Gottes Prüfung bestanden hat. Die nachfolgenden deutenden Verse sind erst in späterer Zeit nachträglich dazu gestellt worden.

Wenn alle Versuche, der Geschichte durch Verallgemeinerung näher zu kommen, begrenzt sind, hilft vielleicht der Blick auf das Besondere. In Vers zwei sagt Gott dem Abraham „Geh hin“, auf Hebräisch „lech lecha“. Dieses „lech lecha“ steht nur hier und dann noch einmal davor in Genesis 12, wo Abraham der Aufbruch in das Land der Verheißung aufgetragen wird. Auch dort „lech lecha“. Nach dem deutschen Rabbiner Benno Jacob, der 1939 nach London fliehen konnte, war es mit dem ersten „lech lecha“ des Aufbruchs die Vergangenheit, die Abraham opferte, mit dem zweiten seine Zukunft in Gestalt Isaaks. Seine Geschichte – die Geschichte Israels und die Geschichte des glaubenden Menschen - liegen ganz in Gottes Hand.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 2.4.2017, 7.05 Uhr, Ö1

In christlicher Deutung kann man sagen: Abraham begegnet der dunklen Seite Gottes. Darauf weist hin, dass Gott in der Bibel-Geschichte auf unterschiedliche Weise bezeichnet wird: Zuerst steht dafür das Hebräische „elohim“, erst der rettende Gott wird mit dem Namen bezeichnet, mit dem er sich dem Mose bekannt gemacht hat. Luther sagt einmal „Gott“ und dann „der Herr“. Luther war auch hier radikal: Der dunkle, verborgene Gott, der „deus absconditus“ ist manchmal vom Teufel gar nicht mehr zu unterscheiden. Aber der kämpfende Glaube ruft gegen Gott zu Gott, er spekuliert nicht über die dunklen Seiten Gottes, er flieht von dort hin zum offenbaren Gott, den Luther in Jesus Christus sieht. Seine Hingabe im Kreuzestod ist Gottes Weg zum Leben. Damit ist alles getan, mehr kann nicht geschehen. Weitere Opfer braucht es nicht.