Bibelessay zu Matthäus 21, 1 – 15

„Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin.“

So beschreibt der Verfasser des neunten Kapitels des biblischen Buches Sacharja seine Visionen von der Endzeit: Der König, mit dem für das Volk Israel das lang ersehnte endzeitliche „Shalom“ anbricht – übersetzt „die Vervollständigung, das Ganze, Friede und Zufriedenheit oder auch Heil-Sein“ – kommt nicht hoch zu Ross: Er kommt auf einem Esel und bringt den Frieden.

Regina Polak
ist Theologin und Religionssoziologin

Furcht vor der Endzeit

Das Buch Sacharja gehört zu den 12-Prophetenbüchern des Alten Testaments. Seine späteren Teile, aus denen diese Vision stammt, sind in der Zeit der frühen Apokalyptik entstanden. Damals führten die Feldzüge von Alexander dem Großem zu massiven politischen Umbrüchen. Viele Menschen – so auch der Prophet Sacharja - bekommen den Eindruck: Die Endzeit ist angebrochen.

Für das Volk Israel verbindet sich die Furcht vor dieser Endzeit immer auch mit der Hoffnung auf die Ankunft des Messias und damit auf eine gute und gerechte Welt in allernächster Zeit. Daher muss nicht mehr getrauert, nicht mehr gefastet werden. Jerusalem wird vom Bösen gereinigt werden, die Feinde bestraft. Aber am Ende werden Völker zum Berg Zion in Jerusalem kommen und sagen: „Wir wollen mit Euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit Euch ist.“ Freilich: Ehe dieses Heil-Sein anbricht, steht eine Zeit des Leidens bevor, in der Jerusalem zerstört werden wird.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 9.4.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Sacharja denkt in einer Logik, der man in vielen biblischen Texten immer wieder begegnet: Der Weg zum Heil ist ohne Leid, ohne Katastrophen nicht zu haben. Aber diese haben niemals das letzte Wort. So oft hat das Volk Israel inmitten politischer Unterdrückung und Umbrüche schon die Erfahrung gemacht, dass Gott wieder in die Freiheit führen wird und neues Leben schafft.

Der Friedenskönig auf dem Esel

Aus dieser Erfahrung lebt auch die judenchristliche Gemeinde des Matthäus 70 nach Christus. So nützt der Verfasser des Matthäusevangeliums die Texte des Sacharja, um die Ereignisse mit und rund um Jesus von Nazareth zu deuten. Wenn nach katholischer Leseordnung in diesem Evangelium zum Palmsonntag also erzählt wird, dass Jesus auf einem Esel in Jerusalem einzieht, ist allen Gemeindemitgliedern, die die Texte der Tradition kennen, klar: Der Mann auf dem Esel ist der Messias; er ist der Friedenskönig, der das Heil bringen wird.

Kein Wunder, dass die Leute aufgeregt fragen: „Wer ist das?“ Klar ist mit diesem Zitat auch die Vorstellung verbunden: Mit Jesus ist die Zeit des endzeitlichen Heils angebrochen. Und das wird auch Leiden mit sich bringen. Dieses Leiden aber wird in einen größeren Sinnzusammenhang gestellt: Am Ende – so die Glaubenserfahrung der urchristlichen Gemeinde – steht die Auferweckung des Jesus von Nazareth und mit ihr die Erlösung der Menschen von Sünde und Tod. Freilich, so wie für Sacharja kommt dieses Heil auch für die Matthäusgemeinde nicht so, wie erwartet. Der Friedenskönig wird die Gewaltherrschaft des Imperium Romanum nicht beenden – zumindest nicht so, wie es sich beim Einzug in Jerusalem wohl viele vorgestellt haben werden: als politischen Umbruch. Das Ende der Welt lässt auf sich warten, auch nach der Auferstehung.

Apokalyptische Fantasien heute

Auch heute haben viele Menschen das beunruhigende Gefühl, in einer Endzeit zu leben. Weltweit finden beängstigende politische, ökonomische und soziale Umbrüche statt. Das Ausmaß von Krieg, Gewalt und Leid, von dem tagtäglich zu hören ist, ist bedrückend. Apokalyptische Fantasien wuchern. Auch Papst Franziskus nimmt diesen Zeitenwandel wahr. In einer Rede zur katholischen Kirche von Italien im Jahr 2015 hat er gesagt: „Wir erleben aktuell nicht nur einen epochalen Wandel, sondern den Wandel einer Epoche.“ Aber er schürt nicht die Angst, er redet nicht vom Weltuntergang. Vielmehr fordert er die Gläubigen und alle Menschen guten Willens auf, sich an der Gestaltung dieser neuen Epoche zu beteiligen.

Die Erinnerung an den Einzug des Jesus von Nazareth in Jerusalem gibt mir dafür Hoffnung. All diese politischen Mächte und Gewalten, denen ich mich so oft ohnmächtig gegenübersehe, werden nicht das letzte Wort haben. Der Glaube an die Auferstehung am Ende dieses schwierigen Weges, den ich auf die Menschheit zukommen sehe, gibt mir die Kraft, die Welt mutig im Dienste des Lebens mitzugestalten.

Dass nämlich die Zeit weder nach Sacharja noch nach der Auferstehung tatsächlich zu Ende gegangen ist, verstehe ich so: Die Endzeit kommt selten so, wie Menschen sich das vorstellen: mit politischer Macht gewaltsam das Gute herstellen. Vielmehr kann sich in solchen Zeiten mein Glaube bewähren und wachsen. Wenn ich versuche, in Treue und Hingabe die Aufgaben zu erfüllen, die sich mir stellen. Die Endzeit aber wird so lange dauern, dass alle Menschen Zeit haben, zu lernen, was Gott mit den Menschen möchte: in Friede und Gerechtigkeit gut mit ihm und miteinander zusammenleben. Dazu bedarf es einer Umkehr. Daher lese ich den Leidensweg, den Jesus nach seinem Einzug in Jerusalem auf sich nimmt, als spirituelle und politische Alternative. Der Friedenskönig verzichtet auf Gewalt und zeigt einen anderen Weg zum Frieden. Dieser wird Leid und Schmerz mit sich bringen, aber am Ende steht das Leben.