Bibelessay zu Lukas 24, 13 – 35

Gott kann Menschen innerlich ergreifen - aber er überwältigt nicht. Wenn er sich offenbart, bleibt jedem Menschen die Wahl, auf seinen Ruf zu antworten: sich in Freiheit für oder gegen ihn zu entscheiden. Gott zwingt niemanden zum Glauben. Er lässt den Menschen Zeit, ihn zu erkennen und entsprechend zu handeln. Das ist die Erfahrung vieler biblischer Verfasser und auch gläubiger Menschen.

Auch der Glaube an den Auferstandenen überwältigt nicht. Er bedarf der Bereitschaft, die Zeichen und Zeugnisse dieses Ereignisses achtsam wahrzunehmen, den Zeuginnen und Zeugen des Auferstandenen zuzuhören, sie zu verstehen und ihnen vertrauen zu lernen. Es bedarf der Offenheit, den Auferstandenen wahrzunehmen, wenn er sich zeigt und sich auf eine Beziehung einzulassen. In gewissem Sinn lässt sich sagen: Der Glaube an den Auferstandenen wird gelernt; besser vielleicht sogar: dem Auferstandenen zu glauben, wird gelernt. Die Erzählungen über die Erscheinungen des Auferstandenen lassen sich auch in diesem Licht lesen: als Beziehungsgeschichten, in denen das Ereignis der Auferstehung schrittweise begriffen wird - in Beziehung zu Jesus Christus.

Regina Polak
ist Philosophin, Theologin und Religionssoziologin

Sie sehen nur die äußeren Ereignisse

So lässt sich die Erzählung über die Emmausjünger aus dem Evangelium nach Lukas als Lern- und Erkenntnisprozess lesen - von zwei Jüngern, die zwar über die Ereignisse Bescheid wissen und darüber viel reden können; aber dennoch von Blindheit geschlagen sind. Sie reden eben nur „darüber“. Die Tiefe, den Sinn der Ereignisse können sie noch nicht verstehen.

So können sie den Auferstandenen auch nicht wahrnehmen, geschweige denn erkennen, als er ihnen begegnet. Jesus ist es, der das Gespräch eröffnet - und wie so oft mit einer Frage. Der Erkenntnisprozess beginnt, indem die beiden Männer gefragt werden, womit sie sich beschäftigen.

Erfüllte Zeit
Ostermontag, 17.4.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Die beiden Männer wissen über vieles Bescheid: Sie wissen, dass Jesus von Nazareth ein Prophet war, dass er gekreuzigt wurde, dass Frauen den Leichnam Jesu nicht gefunden haben und Engel ihnen gesagt hätten, er lebe. Die Männer sind bestens informiert über die äußeren Ereignisse. Den inneren Sinn sehen sie nicht. Traurig sind sie trotzdem. Sie sind fromme Juden und haben gehofft, dass dieser Jesus Israel erlösen würde. Das hat sich in ihren Augen nicht erfüllt.

Wie den Sinn verstehen?

Wie nun lernen sie mit der Hilfe des Auferstandenen den inneren Sinn der Ereignisse verstehen? Zuerst: Jesus begleitet sie, teilt ein Stück des Weges mit ihnen, nimmt Anteil an ihrem Weg. Um den inneren Sinn der Ereignisse verstehen zu lernen, braucht es Weggemeinschaften, Lerngemeinschaften.

Sodann: Jesus deutet die Ereignisse mithilfe der Schrift. Er erinnert die Jünger also an ihre jüdische Tradition. Mit deren Hilfe wird es möglich, den inneren, tieferen, den spirituellen Sinn verstehen zu lernen. Dem Auferstandenen glauben lernen bedeutet: sich erinnern, die Tradition studieren und im Horizont der Gegenwart deuten, um zu verstehen, was jetzt passiert ist.

Dann müssen sich die beiden entscheiden, ob sie mit Jesus weitergehen wollen. Beim Dorf tut Jesus, als wolle er nun weitergehen. Aber die beiden Männer sind Jesus offenbar unterwegs näher gekommen und laden ihn zu sich ein. Später werden sie sich erinnern: Seine Art, die Schrift auszulegen, hat ihr Herz berührt. Auch das gehört zu diesem Lernprozess: eine Bindung eingehen, sich berühren lassen.

Tiefer sehen und glauben

Schließlich, beim Lobpreis zum Brotbrechen erkennen sie ihn - und es ist interessant, dass Lukas erzählt, dass sie ihn just in diesem Moment nicht mehr sehen. Die Erkenntnis, die hier beschrieben wird, vollzieht sich im Gebet mit dem Auferstandenen: Es ist eine spirituelle Erkenntnis; eine, die den Geist verwandelt und das zuvor Gelernte gleichsam innerlich sehen lässt. Dem intellektuellen Lernen folgt der Lobpreis Gottes; das Gelernte, das Erfahrene wird im Gebet mit dem Auferstandenen gleichsam aufgehoben, veredelt, in eine Beziehung verwandelt. Sie sind in die Beziehung des Auferstandenen zu Gott hineingenommen, hinein verwandelt. JETZT haben sie verstanden. So können sie dann auch nach Jerusalem zurückkehren und bezeugen: Jesus ist auferstanden.

Dazu mussten sie lernen, dass der Blick auf die äußeren Ereignisse allein nichts lehrt; auch ihre eigenen Erwartungen, wie die Erlösung Israels aussehen soll, mussten sie wohl loslassen. Aber indem sie sich auf den Weg einlassen, der ihnen von Jesus eröffnet wird, lernen sie tiefer sehen und glauben - ihm glauben. Der Glaube an die Auferstehung ist kein Glaube an Vorstellungen oder Ideen. Er wird auf Lebenswegen gemeinsam mit anderen und mit Jesus gelernt - in Erinnerung an die Schrift, im Gebet und beim Brechen des Brotes.