Bibelessay zu Apostelgeschichte 1, 12 – 14

Lukas hat ein Doppelwerk geschrieben: Ein Evangelium und die Apostelgeschichte. Es sind zwei zusammenhängende Teile, bei denen Jerusalem wie ein Schanier wirkt.

Das Evangelium endet in Jerusalem, die Apostelgeschichte beginnt in Jerusalem. Auch die Personengruppe ist gleich, Männer und Frauen. Namentlich genannt werden elf Apostel, Judas ist nicht mehr darunter, und Maria. Damit betont Lukas: Es sind konkrete Menschen, welche die Auferweckung Jesu bezeugen.

Martin Jäggle
ist katholischer Theologe und Religionspädagoge

Letztes Hilfsmittel

Und dann steht in diesem Textabschnitt als einzige Tätigkeit, von der die Rede war, gerade jene im Mittelpunkt, die modernen Menschen so fremd geworden ist, nämlich Beten. „Sie verharrten einmütig im Gebet“, hieß es.

Ist nicht Beten aus vielerlei Gründen in den Hintergrund alltäglichen Lebens getreten in einer Zeit, die vom Handeln bestimmt ist, in der gehandelt werden muss und zwar möglichst rasch? Wenn jede und jeder allein für das eigene Handeln verantwortlich ist, wird Beten leicht zu einer frommen Übung, wenn dafür einmal Zeit ist oder die Zeit dafür gekommen scheint. „Jetzt hilft nichts mehr außer beten“, schrieb die französische Sporttageszeitung "L’ Equipe“ nach einer Pleite der französischen Fußballnationalmannschaft. Beten, empfohlen als letztes Hilfsmittel, wenn sonst gar nichts mehr hilft, wenn alle menschlichen Möglichkeiten erschöpft sind. Ist nicht Beten zu lange Ersatz für Handeln gewesen?

Urbild der Kirche

Doch hier in der Apostelgeschichte ist es anders, hier steht Beten am Anfang von allem Wirken. Denn das Erste, was die im Obergemach versammelten Männer und Frauen nach Lukas taten, war: „Sie verharrten einmütig im Gebet.“ Erst darauf folgen die Wahl eines neuen Apostels, die Pfingstpredigt des Petrus, das Wirken der Apostel und der Kirche usw.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 28.5.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Das erinnert mich an die Theologin Dorothee Sölle. Sie erzählt von einem lateinamerikanischen Gewerkschaftsführer, der vor jeder seiner großen Aktionen betet und fastet. Für Sölle zeigt das, wie eng Beten und Handeln zusammenhängen, eines das andere nicht ersetzt. Und kritisch fragt sie an: „Fällt Menschen heute beten so schwer, weil sie keine großen Wünsche mehr haben?“

„Sie verharrten einmütig im Gebet.“ Damit wird noch etwas anderes betont, das über die Einzelnen und ihr Verhältnis zum Beten hinausgeht. Diese Frauen und Männer werden als Gemeinschaft dargestellt und zwar als eine betende Gemeinschaft, voll Erwartung und Hoffnung. Für Lukas ist das eine Art Urbild der Kirche. In dieser Tradition sind für die Kirche die Tage von Christi Himmelfahrt bis zum Pfingstfest eine besondere Zeit des Betens – als Anfang von allem Wirken.