Bibelessay zu Apostelgeschichte 10, 34 - 48a

Was Lukas erzählt hat, findet sich bereits am Ende seines Schwerpunkts über Petrus. Ab Kapitel 13 rückt er Paulus ins Zentrum seiner Geschichten.

Wenn man das bedenkt, dann hat diese eben gehörte Geschichte besondere Bedeutung. Denn sie spiegelt offenbar Konflikte, die sich für die jüdischen Jesusgemeinden dadurch ergaben, dass bald auch Nichtjuden, also Heiden, getauft und damit zu Mitgliedern der Jesusgemeinde gemacht wurden. Vordergründig ging es um die Frage der Beschneidung, die man den Heiden schließlich ersparte. Man konnte auch ohne sie messiasgläubig werden; das hatte man im Jahr 49 n. Chr. am sogenannten Apostelkonzil beschlossen.

Wolfgang Treitler
ist katholischer Theologe und Judaist

Judenchristen versus Heidenchristen

Die messiasgläubigen Juden konnten das zunächst also nicht fassen, heißt es. Ihnen ging es auch um die Beschneidung, doch hatte diese für sie einen tiefen Sinn: Beschnitten ist, wer Jude ist, und wer Jude ist, bekennt sich zum Gott Israels und ist der Tora in ihrem ganzen Umfang verpflichtet – wie auch Jesus ihr alle seine Tage verpflichtet blieb. Diese messiasgläubigen Juden befürchteten, dass Heiden, die ohne solche Voraussetzungen Mitglieder der messianischen Gemeinschaft werden konnten, weder zum Bund Gottes noch zu seinem Messias finden, sondern irgendetwas anderes aus all dem machen werden.

Wenn man ein wenig die Geschichte im Blick hat, die in den Jahrhunderten nach Lukas ablief, dann zeigt sich: Die damaligen Judenchristen sollten mit ihren Befürchtungen weithin Recht behalten. Die Zahl der Heidenchristen nahm immer mehr zu, und mit ihnen zogen neue Interpretationen Jesu ein, die ihn als Juden kaum noch entdecken ließen. In der dogmatischen Lehrgeschichte der Kirche ab dem 4. Jahrhundert gibt es keinen einzigen direkten Hinweis auf Jesus als Mann jüdischer Tradition. Er wurde zu einem heidnisch gedachten Gott, der sich in den finstersten Tagen des 20. Jahrhundert in Mitteleuropa schließlich zum Urbild des deutschen Christen verformen ließ.

Auf der Suche nach Jesus

Es ist Pfingstmontag. Gestern wurde die Sendung des göttlichen Geistes gefeiert und mit dieser Feier der Osterfestkreis abgeschlossen. Damit beginnt der zweite Teil des liturgischen Jahreskreises, und da kann man geistbegabt und aufrichtig fragen: Wo steht das Christentum heute? Wo steht mein Christentum heute? Welchen Christus kenne ich, welchen suche ich?

Erfüllte Zeit
Montag, 5.6.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Es gilt, die Geschichte des Christentums weiterzuschreiben, jede und jeder auf dem eigenen Weg. Und ich versuche das auf dem Weg, der mir von den frühen messiasgläubigen Juden gewiesen wird und ihrem Unverständnis dafür, dass man Jesus ohne und später sogar gegen sein eigenes Judesein finden wollte. Ich möchte den Jesus finden, der nicht aus Rom und nicht aus Athen, sondern aus Israel und aus Gottes Bund mit dem Volk Israel gekommen ist. In der Suche nach diesem Jesus muss ich über Lukas hinausgehen, der die Geschichte, die nach ihm gelaufen ist, nicht vorwegnehmen konnte.

In der Suche nach diesem Jesus aus dem Bundesvolk Israel sehe ich eine ganz bestimmte Lebensaufgabe. Sie wird daran gemessen, ob es gelingt, so zu leben, dass die berechtigte Empörung von Juden angesichts von Christen, die bei Lukas schon angekündigt ist, keinen wirklichen Grund mehr hat, weil ich dem gleichen Ethos verpflichtet bin wie Juden auch – verbunden über Jesus Christus. Diese Einsicht leuchtet mir von Pfingsten her.