Bibelessay zu Matthäus 9, 36 - 10, 8

Zwölf Männer werden berufen im Dienst der Verkündigung, im Hinhören auf den Auftrag Jesu und im Volleinsatz für die Menschen. Gottes Ruf ist immer ganz konkret, meint einen ganz konkreten Menschen mit seiner Lebensgeschichte, mit seiner Vergangenheit und mit seiner Zukunft, die sich ihm unerwartet auftut.

Das heutige Evangelium nennt die Namen der zwölf Apostel, womit wohl angedeutet wird, dass das neue Gottesvolk auf den Fundamenten der zwölf Stämme Israels weiterbaut, aber nicht beschränkt ist auf ein Volk, eine Kultur, eine Sprache. Das Wachsen und Werden der Kirche ist auch nicht geografisch eingeengt, sondern trägt die Sehnsucht in sich: Das Reich Gottes möge Wirklichkeit werden. „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe!“ Aber redet nicht nur, erschöpft euch nicht in frommen Floskeln, sondern handelt: „Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus!“

Pater Karl Schauer
ist Bischofsvikar der Diözese Eisenstadt

Den Auftrag ernst nehmen

Und die Zwölf, die Frauen und Männer der frühen Kirche und die ungezählten Berufenen in der langen Geschichte der Kirche, die ihren universalen, weltumgreifenden und missionarischen Auftrag schon sehr früh begriffen haben, bis zu den christlichen Märtyrern unserer Tage - sie alle gaben und geben Zeugnis von diesem Auftrag: Geht, verkündet und handelt!

Nicht immer ist dieser Auftrag ernstgenommen und glaubhaft umgesetzt worden, nicht immer haben die Gerufenen dem Auftrag des Herrn entsprochen. Kaum jemand kann so blind sein, all die Brüche, die durch Menschen in der Kirche verursacht wurden, wegzuleugnen. Aber es gilt, vor allem und zuerst auch die Aufbrüche zu sehen, die durch Frauen und Männer, Junge und Alte gewagt wurden, weil sie immer neu auf das Evangelium gehört und dieses in die jeweilige Zeit und Gesellschaft hinein übersetzt haben.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 18.6.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Spätestens Papst Franziskus, der von sich sagt, dass er vom anderen Ende der Welt gekommen sei, zeigt und lebt vor, dass die Botschaft Jesu Christi längst nicht mehr nur mit europäischen oder abendländischen Denkmustern und Lebenswirklichkeiten zu verstehen ist. Diese weltweiten Umbrüche in allen Bereichen des Lebens verursachen Unsicherheit und Angst, auch in der Kirche, die mir und uns bisher vertraut war. Statistiken und soziologische Entwicklungen können keine Antwort geben, Strukturdebatten und Strukturreformen allein sind noch keine Lösung, die Vertröstung, dass Kirche woanders vital sei und lebt, ist nur ein billiger Trost.

Gesandte der frohen Botschaft

Das Evangelium am heutigen Sonntag erspart mir nicht die Frage nach meiner eigenen Berufung. Diese ist das Grundmuster des Christseins und des Kircheseins. Alle Getauften sind gemeint. Sie sind in der Gemeinschaft der Kirche Gesandte der frohen Botschaft und Zeugen für die Liebe Gottes in der Welt. Ohne Berufungen zum Priester und Diakon, ohne Ordensfrauen und Ordensmänner, ohne die vielen ehrenamtlichen Dienste müsste die Zukunftstauglichkeit der Kirche hinterfragt werden.

In diesen Tagen werden in nahezu allen österreichischen Diözesen Männer zu Priestern geweiht, aber die Zahl ist klein geworden. Andere wählen vielleicht den Weg als Ordenschrist, wobei festgestellt werden muss, dass besonders bei den Frauenorden die Zahl der Schwestern rapide sinkt. Oft wird dann vorschnell die Frage gestellt: „Was will Gott seiner Kirche damit sagen?“ - Ich halte diese Fragestellung für feig und oberflächlich. Und alle, die in der Berufungspastoral tätig sind, müssen kleinlaut zugeben, dass viele Mühen und Anstrengungen sich ins Leere verlaufen.

Gewirr der Stimmen

Wie kann es gelingen, Menschen zu helfen, im Gewirr der Stimmen, Gottes Stimme zu hören? Wie ist es möglich, eine Berufung zu entdecken, die in mir vielleicht schlummert? Berufungen fallen nicht wie Blitz und Donner vom Himmel. Es braucht Menschen, die begleiten, die aufmerksam machen, die Fähigkeiten und Talente entdecken und vor allem den Mut haben, auf die Entscheidung für Priester- und Ordensberuf deutlich hinzuweisen. Dabei muss es Menschen treffen, die mitten im Leben stehen, wie die Zwölf im Sonntagsevangelium, Menschen, die geerdet sind, die vom Leben eine Ahnung haben. Es reicht nicht, fromm oder spirituell zu sein, mangelnde Berufsausbildung oder Studienabbrüche sind keine guten Voraussetzungen.

Berufung darf auch keine Flucht in eine Sonderwelt sein, sondern verwirklicht sich im konkreten Ja Gottes zu mir im Dienst an den Menschen. Berufung ist kein Lehrabschluss und kein akademischer Grad. Dieser Ruf provoziert meinen Versuch, Zukunft zu gestalten, Leben zu ermöglichen, sich mit dem Leid, der Not, dem Elend, der Angst des Menschen nicht abzufinden, sondern so zu leben und zu denken, als hätte die Zukunft mit Ihm schon begonnen.

Enttäuschungen, Resignation, Mutlosigkeit bleiben nicht erspart, es wäre unehrlich, würde ich das als Priester nicht zugeben. Aber die Hoffnung ist stärker und sie macht mich in der Begegnung mit den Menschen zum Glaubenden. Als solcher begegne ich den Eltern, deren Kindern ich in der Taufe die bedingungslose Liebe Gottes zusage und sie in die Kirche aufnehme. Mit den Hochzeitspaaren glaube ich an die Liebe in einer manchmal verzweifelnden Welt. Als dieser Glaubende stehe ich an den Gräbern und spreche dennoch von der Hoffnung. Ich stehe vor den Menschen und versuche die Welt und das Leben mit den Worten der Heiligen Schrift zu deuten - und am Altar feiere ich das Geheimnis der Verwandlung. Dann erahne ich, dass er mir zu all dem die Kraft gibt.