Bibelessay zu Mt 13, 24-43

Eigentlich eine klare Sache, dieses Gleichnis vom Weizen und vom Unkraut: Es wird gesät und später soll geerntet werden. Ein Rhythmus der Natur, mit dem ich als Bauernsohn seit Kindertagen vertraut bin.

Gesät oder „anbaut“ – wie es in meinem niederösterreichischen Dialekt so schön heißt – angebaut hat aber schon mein Großvater nicht mehr mit der Hand, sondern mit der Maschine. Übrigens: der Sämann, der viele Jahrzehnte lang die Vorderseite der Ein-Schilling-Münze aus Aluminium prägte, das Bild des Sämanns basiert auf diesem Bibeltext.

Josef Schultes
ist katholischer Theologe und Bibelwissenschaftler

Zwischen Aussaat und Ernte

Es wird gesät und dann soll geerntet werden. Eine klare Sache? Nur scheinbar. Denn das Problem liegt in der Zeit dazwischen. Das ahnt auch, wer im Büroturm einer Großstadt sitzt, gut isoliert von Umwelt und Erde, mit Handy und Computer mehr vertraut als mit Weizensaat und Weizenernte. Das Problem liegt in der Zeit dazwischen; sie macht unruhig, versetzt in Spannung, weckt Ängste.

Zwischen Aussaat und Ernte: Wir im Europa von heute, wir fürchten die heftigen Gewitter, den Hagel und die Überschwemmungen. Im wasserarmen Galiläa von damals lag die größere Bedrohung im Unkraut. Bei diesen zizánia, wie es im griechischen Original heißt, handelt es sich um den sogenannten Taumel-Lolch; eine Pflanzenart, die zur gleichen Familie wie der Weizen gehört. Im Frühjahr, wenn die junge Saat etwa eine Spanne hoch ist, sollte alles Unkraut ausgejätet werden. Auch der Lolch, so der vernünftige Vorschlag der Knechte.

„Lasst beides“, lautet aber die Antwort im Evangelium, „lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte“. Das eindeutige Nein des Grundbesitzers überrascht. Es bietet zugleich jedoch einen Schlüssel zum Verständnis. Denn so, wie uns das Gleichnis heute vorliegt, verweist es auf eine lange Entwicklungsgeschichte.

„Freund der Zöllner und Sünder“

Zuerst gab es, wie Bibelfachleute vermuten, eine Bildgeschichte. Von Jesus selbst erzählt, wohl aus gegebenem Anlass. Denn unter seinen Jüngerinnen und Jüngern waren manche von zweifelhaftem Ruf. Nicht gerade „Weizen, sortenrein“. Was auch auf Jesus selbst abfärbte: „Der da, ein Freund der Zöllner und Sünder“, heißt es bei Matthäus 11, also zwei Kapitel vor dem heutigen Gleichnis. Wie kann denn aus diesem zusammen gewürfelten Haufen – so der Vorwurf von Jesu Gegnern – wie kann aus dieser bunten Schar das neue Volk des Ewigen sprießen?!

Denn sowohl die Pharisäer – hebräisch perushim, „die Abgesonderten“ – als auch die Essener – das heißt die “Frommen“, bekannt durch die Schriftrollen vom Toten Meer – diese beiden streng politisch-religiösen Gruppen zur Zeit Jesu tolerierten nur Traditions-Getreue bzw. Regel-Konforme in ihren jeweiligen Gemeinschaften. Für Kranke gab es keinen Platz und Sünder wurden strikt ausgegrenzt.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 23.7.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Zeiten des Reifens

Auch in der ersten Christen-Generation rief man nach Zucht und Ordnung und nach strenger Buße. Gegen solche rigorose Tendenzen, eine „Kirche der Reinen“ zu schaffen, wendet sich Matthäus. Nur bei ihm steht die Parabel vom Weizen und vom Unkraut. Sie misstraut dem „Saubere-Grenzen-Ziehen“ und eröffnet eine andere Sichtweise, einen weiten Horizont, saatgrün entspannt.

Eure Aufgabe – so will der Evangelist seiner Gemeinde durch Jesu allegorische Deutung sagen – eure Aufgabe ist nicht das Ausreißen, das Ausschließen, das Verurteilen. Löst euch vom simplen Schema, eure kleine Welt in Nutz-Kraut und Un-Kraut, in Gut und Böse einzuteilen. Umwege können heilsam sein. Schenkt einander Stand und Verstehen. Werdet ganz im Miteinander. Wachst selbst und lasst einander wachsen. Gewährt euch Zeiten des Reifens. Geduld ist göttlich.