Bibelessay zu 1 Korintherbrief 15, 20 – 27a

Es ist wesentlich dem Kirchenvater Augustinus zu verdanken, dass diese Passage aus dem Korintherbrief des Paulus eine kaum überschätzbare Wirkungsgeschichte entfaltet hat.

Augustinus hat v.a. einen Satz herausgenommen: „Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht.“ Augustinus interpretiert ihn so: Adam, den er gemäß dem damals gängigen Verständnis als historischen ersten Menschen ansah, hat gesündigt. Verbotenerweise hat er gemäß der Paradiesesgeschichte am Anfang der Bibel den Apfel vom Baum der Erkenntnis gegessen. Diese Sünde bleibt nicht auf Adam beschränkt. In Adam, bzw. durch Adam, wie Augustinus übersetzt, sind alle Menschen dem Tod geweiht.

Mirja Kutzer
ist Professorin an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Kassel

Einschränkung der menschlichen Freiheit

Die Sünde überträgt sich durch die Fortpflanzung von Mensch zu Mensch, so dass jeder von dieser Sünde getroffen ist. Die ganze Menschheit ist massa damnata, verurteilt, noch bevor der Einzelne selbst aktiv etwas Falsches gemacht hat. Die Lehre von der sogenannten Erbsünde ist geboren. Die Konzilien von Orange und Trient haben sie bestätigt und in den Rang eines kirchlichen Dogmas erhoben.

Heute scheint diese Rede von einer Sünde, die man ererbt hat, mehr als fragwürdig. Vor allem der Gedanke, für etwas verantwortlich gemacht zu werden, das wir selbst nicht getan haben, ist uns heute fremd. Was hat der/die Einzelne damit zu tun, wenn jemand anderer, gar weit vor unserer Geburt, etwas Falsches gemacht hat? Und dennoch: Augustinus spricht etwas an, das nachvollziehbar scheint. Was er mit Erbsünde meint, ist nämlich keineswegs eine persönlich begangene Verfehlung. Es ist auch nicht einfach eine einzelne falsche Tat. Erbsünde ist nach Augustinus eine grundlegende Einschränkung der menschlichen Freiheit. Wie frei sind wir tatsächlich in unseren Handlungen? Wie frei sind wir etwa in unserer Entscheidung zwischen Gut und Böse, wenn wir etwa Kleidung einkaufen gehen? Fast automatisch bedienen wir damit die Strukturen eines globalen Marktes, der Näherinnen in Bangladesh massiv benachteiligt. Unsere persönlich getroffene Entscheidung? Nicht unbedingt. Dennoch, so sagt es der lateinamerikanische Philosoph Enrique Dussel: Wir willigen mit unserem Handeln in diese Strukturen ein, verfestigen sie und werden so selbst schuldig.

Erfüllte Zeit
Dienstag, 15.8.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Innere und äußere Zwänge

Doch nicht nur „von außen“ sind unsere Handlungsspielräume eingeschränkt. Eindringlich weist Augustinus darauf hin, dass wir auch in unserem Inneren dazu neigen, unsere Freiheit zu beschneiden. Zum Beispiel hängt der Mensch nur zu gerne sein Herz an Dinge – heute also etwa Smartphones, Autos, oder auch den perfekt gestylten Body, die tip top gepflegte Wohnung. Irgendwann beginnt all dies, woran wir unser Herz hängen, uns selbst zu bestimmen. Das Smartphone strukturiert unseren Alltag, und auch an der Perfektion unseres Bodys und der Wohnung könnten wir pausenlos feilen. Unter Umständen tun diese Dinge längst nicht mehr gut – weder uns selbst noch den Menschen, die uns umgeben.

Dennoch: Wir machen weiter. Der Tod, von dem der Korintherbrief spricht, wäre dann womöglich weniger Strafe, denn natürliche Konsequenz. Der Mensch ist „wie tot“, unfähig, sich anders als gewohnt zu verhalten, lebendig zu sein. Ist das unserer Erfahrung tatsächlich so fremd? Freiheit, so könnte man von Augustinus lernen, ist ein fragiles Gebilde. Sich bewusst zu werden, dass man inneren wie äußeren Zwängen folgt, dass man ganz oft auch anders könnte, ist ein Schritt zu dem, das die Bibel Erlösung nennt.