Bibelessay zu Jeremia 31, 31 - 34

Der Prophet gilt nichts im eigenen Land – so lautet ein Sprichwort und auf den Propheten Jeremia trifft es ganz besonders zu. Denn der im 6. Jahrhundert vor Christus nördlich von Jerusalem Geborene wurde von seinen Landsleuten heftig angefeindet. Er kritisierte die Gesellschaft, drohte mit Gericht und machte sich damit ziemlich unbeliebt.

Die Zeit, in der er lebte, war turbulent. Jeremia musste die Eroberung Jerusalems durch die Neubabylonier erleben. Er konnte zunächst weiterhin im Land Juda bleiben, floh aber später mit vielen anderen aus Angst vor Strafaktionen der Babylonier nach Ägypten. „Flüchtlingskrise“ nennt man das heute.

Brigitte Schwens-Harrant
ist katholische Theologin, Germanistin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung „Die Furche“

Tradition hilft

Die Eroberung und Zerstörung Jerusalems samt Tempel ist eine Katastrophenerfahrung, die in vielen Schriften des ersten Testaments begegnet. Warum musste das passieren, fragte man sich, und viele sahen den Grund für diese Zerstörung darin, dass man fremde Götter verehrt hatte, dass man von den eigenen Werten abgekommen war. Zu diesen gehörte aber auch der soziale Zusammenhalt. Auch er ging verloren. Barmherzigkeit und selbstverständliche Unterstützung für die Schwachen blieben auf der Strecke. Gerade diese aber forderten die Propheten lästig ein, und wenn sie sagten „Jahwe ist Gerechtigkeit“, so meinten sie auch diese soziale Gerechtigkeit.

Lebenskunst
Sonntag, 18.3.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Angesichts dieser Erfahrungen ist umso erstaunlicher, wie in dem Text mit Tradition umgegangen wird. In unsicheren Zeiten, in Zeiten des Umbruchs, in denen man kaum mehr weiß, wie die Gesellschaft morgen aussehen wird, halten sich heutzutage viele vor allem an dem fest, was man Tradition nennt. Sie verstehen sie aber oft als etwas sehr Statisches, als etwas Unveränderliches, das man weitergeben könnte wie einen Stein. Das soll helfen, sich in einer so sehr im Wandel begriffenen Zeit zurechtzufinden.

Auf andere wirken

In diesem Text aber wird gerade von einem Wandel, von einem neuen Bund gesprochen. Hier wird trotz und gerade angesichts dieser unruhigen Zeiten gerade nicht verlangt, sich festzuhalten an Glaubenskongregationen oder Wertekursen. Nein, der Text spricht die Überzeugung aus, dass jeder ins Herz eingeschrieben bekam, worauf es ankommt. Das klingt heute ziemlich kitschig, es ist aber durchaus revolutionär. Denn das „Gesetz“ ist nun nichts Äußerliches mehr, es sitzt in der Mitte des Menschen. Mittendrin in ihm. Ein Herz pocht, bewegt, treibt an. Es ist beständig und sorgt dafür, dass wir morgen noch leben. Aber es ist eben kein Stein, es ist etwas, das sich berühren lässt. Man könnte es auch Gewissen nennen. Hier wird erstaunlicherweise nicht eifrig nach Schuld und Schuldigen gesucht und das Nichteinhalten von Gesetzen streng verfolgt, hier wird stattdessen Halt und Veränderung, eine Beziehung versprochen.

Man muss die anderen nicht einmal belehren, sagt dieser Text. Es wirkt, was in einem drin ist, und das wird auf andere wirken.