Bibelessay zu Apostelgeschichte 4, 32 – 35

Um Gottes willen, das sind ja Kommunisten! Das hat einst ein Freund von mir gerufen, als er diesen Bericht aus der Apostelgeschichte hörte.

Der Evangelist Lukas beschreibt in seiner Darstellung der frühen Kirchengeschichte, entstanden zwischen 80 und 90 nach Christus, die Lebensweise der ersten Christen in drei Schritten: 1) Niemand nennt etwas, das er hatte, sein Eigentum; sie teilen alles. 2) Im Zentrum steht das Zeugnis der Auferstehung des Jesus von Nazareth und die Gläubigen erfahren sich im Schutz der Gnade Gottes. 3) Niemand leidet Not, denn alle Wohlhabenden verkaufen ihre Immobilien und lassen deren Erlös von den Aposteln verteilen. Der Glaube dieser Gemeinde wird also gerahmt von zwei Berichten über den Umgang miteinander, in dessen Mitte das Verhältnis zu Eigentum steht. Die Erfahrung der Auferstehung ermutigt demnach zur Verhaltensänderung im ökonomischen Bereich.

Regina Polak
ist Theologin und Religionssoziologin

Ökonomische Gegenwelt

Neu war diese Erfahrung nicht: Die Gemeinde verstand sich in der Tradition der jüdischen qahal, der Gemeinde, wie sie im Buch Deuteronomium, dem fünften Buch der Hebräischen Thora, beschrieben wird. Auch dort findet sich eine Beschreibung der Gemeinde Gottes, die eine Art ökonomischer „Gegenwelt“ schildert. Eigentum ist kein Selbstzweck, sondern steht im Dienst der Gemeinschaft. Maßstab der Verteilung ist jene Gerechtigkeit, die sich an den Bedürfnissen der Ärmsten und Ausgeschlossenen orientiert. Im 15. Kapitel heißt es: „Doch eigentlich sollte es bei Euch keine Armen geben!“

Für Juden und Jüdinnen ist diese Gerechtigkeitspraxis bis heute zentraler Bestandteil der Frömmigkeit. Ohne die daraus resultierende Entstehung jüdischer Hilfsvereine wäre deren Vertreibung und Ermordung noch mörderischer gewesen.

Lebenskunst
Sonntag, 8.4.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Im Hintergrund dieses Modells einer Gesellschaft ohne Arme steht die Erfahrung der Befreiung des Volkes Israel aus der ägyptischen Lohnsklaverei und Zwangsarbeit. Vor allem führte die Erfahrung des eigenen politischen und ökonomischen Versagens zu dieser Theologie, in der die Gnade Gottes und gerechte ökonomische Verhältnisse untrennbar zusammengehören. Nachdem Israel von den Babyloniern von der Landkarte gefegt worden war und das Volk zerstreut im Exil lebte, wird diese bittere Erfahrung zur Quelle einer selbstkritischen religiösen und ökonomischen Neuorientierung, die man so zusammenfassen könnte: „Wir haben Gottes Gerechtigkeit verletzt, denn bei uns gab es Armut und Unrecht. Deshalb sind wir gescheitert und vertrieben worden.“

Umgang mit Besitz

Die Idee einer Gemeinschaft, in der Besitz bedürfnisgerecht verteilt wird, hat hier ihren historischen und religiösen Ursprung. Die junge christliche Gemeinde bezieht diese Beschreibung auf sich und erkennt in sich das Ideal dieser Gemeinschaft Gottes.

Und dazu meinte mein eingangs erwähnter Freund:„Naja, aber diese Vorstellung von kollektiv geteiltem Besitz und persönlicher Besitzlosigkeit hat doch der Kommunismus auch zu verwirklichen versucht. Der aber ist nicht nur kläglich gescheitert, sondern hat noch dazu Millionen und Abermillionen ermordete und verhungerte Menschen auf dem Gewissen. Ja: In Bezug auf den Kommunismus stimme ich ihm einschränkungslos zu. Die Aufarbeitung dieses Totalitarismus wird die Welt noch viele Jahrzehnte beschäftigen.

Ja: In gewissem Sinn ist die lukanische Erzählung tatsächlich naiv, besser gesagt: interessensgeleitet. Lukas will zeigen, dass die neue Gemeinde in der jüdischen Tradition der Gotteserfahrung steht. Diese Ur-Gemeinde aber hat es in dieser idealen Form nie gegeben. Es gab viele verschiedene Gemeinden und in, sowie zwischen ihnen, ist heftig gestritten worden. Der Umgang mit Besitz war immer schwierig. Aber bis heute ist die Vision einer solchen Gemeinschaft für Christen spiritueller Impuls und Ansporn, einen gerechten Umgang mit Besitz zu lernen. Die Erzählung ist eine Erinnerung an eine noch ausständige Zukunft.

Im Dienst des guten Lebens

Vor allem aber: Hat der Kommunismus wirklich versucht, diese Erfahrung zu verwirklichen? Der Kommunismus ging von einem Gesellschaft- und Menschenbild aus, das keinesfalls überholt, sondern auch im Kapitalismus vorfindbar ist, ein negatives Spiegelbild gleichsam. Beide leben von der Überzeugung, Wirtschaft und Arbeit würden die Menschheit erlösen. Erst wenn sie funktionieren, werde gutes menschliches Leben möglich.

Die Erzählung über die junge christliche Gemeinde aber denkt wie die jüdische Gemeindetheologie in einer anderen, geradezu entgegengesetzten Logik. Das Zentrum dieser alternativen Ökonomie bildet die Erfahrung der Gnade Gottes, - dass Gott zum Leben befreit und das Leben stärker ist als der Tod. Die Materie, das Materielle, wird dabei nicht abgewertet, sondern neu gesehen und steht im Dienst eines gutes Lebens für jeden einzelnen und alle gemeinsam.