Bibelessay zu Johannes 18, 33b – 37

Jesus von Nazareth begegnet Pontius Pilatus, dem Statthalter des römischen Kaisers in den Provinzen Judäa und Samaria – und es geht um die Frage nach Macht. Diese Begegnung, von der das Evangelium nach Johannes heute, am Christkönigsonntag, erzählt, ist mehr als eine bloß historische Information.

In dieser Erzählung wird eines der wichtigsten theologischen Themen der Bibel verhandelt: die Frage, wem in der Welt die zentrale und höchste Macht zukommt und wie sich diese zeigt. Diese Erzählung ist eine weitere Variante dessen, was man das „Gott-Pharao“-Drama nennen kann. Dieses „Gott-Pharao“-Drama durchzieht wie ein roter Faden seit dem Exodus, dem Auszug der Israeliten aus dem Sklavenhaus Ägypten, die Geschichte der Bibel und damit die Geschichte der Menschheit bis heute. Es handelt sich dabei um das Drama zwischen Gott und seiner Menschheit.

Regina Polak
ist katholische Theologin und Religionssoziologin

Begegnung mit der absoluten politischen Macht

Auf der einen Seite Gott, der nach biblischem Zeugnis jeden einzelnen Menschen und die Menschheit insgesamt aus allen Mächten und Gewalten retten möchte, die die Freiheit der Menschen zerstören, Gott und einander zu lieben und in Gerechtigkeit zusammen zu leben. Auf der anderen Seite die Menschheit, die immer wieder irdische Wirklichkeiten erschafft, die ebendiese Freiheit bedrohen: innere Zwänge und Besessenheiten wie die Gier nach Erfolg und Macht; äußere Wirklichkeiten, die vergöttlicht werden, wie Status und Besitz; ökonomische und politische Imperien, die Verlierer, Außenseiter, Arme und Opfer produzieren.

Während im Alten Testament der Pharao das Paradigma für diese zerstörerische Neigung der Menschheit darstellt, begegnet uns in dieser Evangeliumsstelle Pilatus. Er ist der Repräsentant des Kaisers des Römischen Reiches und dessen Anspruches auf Allmacht. In der Logik des Imperiums begegnet Jesus von Nazareth damit aber nicht nur einem Menschen, sondern der absoluten politischen Macht. Denn im Denken dieser Zeit ist mit dem Statthalter der Kaiser selbst an diesem Ort tatsächlich und wirklich anwesend. Indem der Evangelist Johannes nun also genau genommen den Kaiser mit Jesus von Nazareth sprechen lässt, begegnet auch Pilatus nicht nur einem Menschen, sondern dem Sohn Gottes. Aus christlicher Sicht ist dieser aber der Statthalter und damit der Repräsentant Gottes auf Erden. Mehr noch: Gott selbst begegnet der absoluten politischen Macht.

Provokation für alle Mächte

Erneut bezeugt die Heilige Schrift, dass die politische Großmacht nicht das letzte Wort hat, sondern Gott der König der Welt ist. In der Reaktion des Jesus von Nazareth wird nun erkennbar, von welcher Art diese Königs-Macht ist und wie sie im Sinne Gottes auszulegen ist. „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“, antwortet Jesus. Es kommt nicht mit politischem Kampf gegen seine Feinde. Damit ist aber nicht gesagt – wie dieser Satz mancherorts interpretiert wurde und wird – dass dieses Königtum ausschließlich im Jenseits zu finden ist und mit den realen politischen Verhältnissen nichts zu tun habe. Eine solche Deutung würde der Logik des Gott-Pharao-Dramas, das sich hier fortsetzt, nicht entsprechen.

Lebenskunst
Sonntag, 25.11.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Die weitere Erzählung des Sterbens und Auferstehens zeigt vielmehr, WIE sich diese königliche Macht Gottes bereits auf Erden verwirklicht: nicht durch den politischen Kampf der Parolen oder Kriege, sondern durch das Durchbrechen der politischen Gewaltspirale; durch eine Praxis des Hörens auf das Wort Gottes und seine in der biblischen Geschichte bezeugte Wahrheit. Diese Praxis unterbricht den Machtkampf und verbindet sich mit Ohnmacht und Leid. Das klingt politisch verrückt. Aber genau deshalb kann diese Praxis – wie die spätere Auferstehung bezeugen wird - neues Leben ermöglichen – und auf indirekte, paradoxe Weise politisch wirksam werden.

Der christliche Glaube, dass Christus König ist, ist also kein harmloses Bekenntnis. Er ist weder ein politisches noch ein unpolitisches Statement. Er ist weder politisches Programm noch Vertröstung auf das Jenseits. Aber dieses Bekenntnis spricht allen weltlichen und politischen Mächten ab, das entscheidende und letzte Wort über das Schicksal der Menschheit zu haben. Deshalb wird Jesus von Nazareth sterben. Deshalb ist dieser Glaube eine Provokation für alle Mächte und Gewalten, mit denen Menschen über Menschen herrschen wollen.