Bibelessay zu Lukas 10, 38 - 42

Machen wir es uns nicht zu einfach. Es scheint alles so klar. Maria hat das bessere Teil erwählt, sie ist versunken in die Worte des Meisters. Martha ist besorgt um seinen leibliches Wohl, füllt die klassische Hausfrauenrolle aus, hat also scheint’s das schlechtere Teil abbekommen.

Bibeltexte haben manchmal die Eigenschaft, dass sie unter dem Geröllhaufen der Interpretationen, die sie überlagern, kaum mehr zu erkennen sind. Die Auslegungsgeschichte der Story von Maria und Martha ist eindeutig. Maria ist Sinnbild für die spirituelle Seite des Lebens, die vita contemplativa, und Martha für die materielle Seite, die vita activa. Und es scheint auch klar, was besser ist.

Michael Chalupka
ist evangelischer Pfarrer und leitet die Diakonie Bildung in Wien

Gegensatzpaare

Martin Luther hat das gut in sein theologisches Denken gepasst. Er geht noch weiter, er verurteilt Martha: „Martha, dein Werk muss bestraft und für nichts geachtet werden. … Ich will kein Werk haben denn das Werk Marias, das ist der Glaube.“ Keiner soll meinen, da ginge es nur um eine theologische, spirituelle Auseinandersetzung, die höchstens die Kirchen aber sonst niemanden betrifft. Dieses Denken spiegelt sich noch heute in den Gegensatzpaaren: Kopfarbeit versus Handarbeit, Erwerbsarbeit versus Arbeit im Haushalt. Auch die Wertung findet sich wieder. Kopfarbeit ist meist besser bezahlt als Handarbeit. Care-Arbeit, Sorge um die Familie, um die Kinder und Alten, wird unentgeltlich erledigt, von den Marthas dieser Welt, die – Pech gehabt – das schlechtere Teil erwählt haben.

Machen wir es uns nicht zu einfach. Schauen wir tiefer. Was zuerst auffällt: Martha ist die Handelnde. Sie lädt Jesus in ihr Haus ein. Er folgt ihrer Einladung. Ihre Schwester Maria setzt sich zu seinen Füssen und lauscht. Martha ist aber auch die Sprechende, sie spricht mit Jesus, sie beschwert sich. Jesus gibt ihr Antwort, aber so wie ich es sehe, wertet er Martha nicht ab. Er wertet aber auch Maria nicht ab. Er lässt sie zuhören.

Wir brauchen beide

Die große evangelische Theologin Dorothee Sölle bringt es in ihrer Interpretation der Bibelstelle auf den Punkt: „Wir müssen nicht wählen zwischen der Kontemplation und dem Handeln. Niemand hat das Recht, uns die Wahl aufzuzwingen. Wir müssen die Welt nicht in Macher und Träumer, in die sanfte, lauschende, sich hingebende Maria auf der einen Seite und die pragmatische, handlungsstarke Martha aufteilen. Wir brauchen beide. Wir sind in der Tat diese beiden Schwestern.“

Lebenskunst
Sonntag, 3.3.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Dorothee Sölle war eine fromme Frau. Ich habe sie zur Zeit der Friedenbewegung kennen und lieben gelernt. Sie selbst war das lebendige Vorbild, dass Gebet und Einsatz für den Frieden, dass spirituelle Tiefe und der Kampf für Gleichberechtigung nicht nur kein Gegensatz sind, sondern einander bedingen, bereichern und Kraft geben.

Zeit für Träume

Gehen träumen und handeln zusammen, dann erübrigt sich der Spott auf die naiven Gutmenschen; dann wird gemeinsam gedacht und gemeinsam gehandelt; dann wird auf die Hausarbeit nicht mehr herabgeschaut und die Arbeit von Leistungsträgern, die Anzugsträger sind, nicht in den Himmel gehoben; dann werden Feiertage nicht als Bedrohung der Produktivität gesehen, aber die Arbeit und die Wirtschaft, die dem Leben dienen, mit Freude gelebt.

Der Vogel fliegt nur mit zwei Schwingen gut. Mein Leben wird rastlos, wenn ich mich im blinden Aktivismus ergehe und mein Heil in der Arbeit suche. Mein Leben wird ziellos, hänge ich nur den Träumen nach. Das eine ohne das andere geht nicht. Nur beides gemeinsam führt zur Seligkeit. Und beides hat seine Zeit. Heute ist Sonntag. Zeit für die Seele. Zeit für die Träume vom besseren Leben.