Bibelessay zu Lukas 12,32-48

Warten auf den Zug. Warten auf den Arzt. Warten auf ein Treffen mit anderen Menschen. Warten auf besseres Wetter. Warten auf den Schlaf. Warten auf den Morgen. Warten auf den Pannendienst. Warten auf die nächste Gehaltszahlung. Warten auf das Arbeitsende. Warten auf Antwort. Warten auf die Telefonverbindung. Warten auf eine Operation. Warten auf die Geburt.

Warten. Bitte, warten.

Nach Schätzungen verbringen Menschen etwa ein Achtel ihrer gesamten Lebenszeit mit Warten. Und selten stellt sich das Gefühl ein, Warten sei eine sinnvolle Zeit. Gewiss, man kann in der Wartezeit und in den Warteräumen einiges tun. Lesen oder sich Entspannen; kurze Arbeiten erledigen; plaudern, wenn es Willige gibt, die auch warten müssen; oder das Handy traktieren und nach neuesten Bildern suchen, nach Tweets, Nachrichten auf Plattformen oder im eigenen Mailaccount. Denn die reine Wartezeit erscheint wie eine verlorene, wie eine versäumte Zeit. Wartezeit als Zeit, in der einem Menschen so richtig fad ist, weil diese Zeit einfach nicht vergehen will. Großartig besungen wurde das von Helmut Qualtinger im Lied „Weil mir so fad is“ aus dem Jahr 1957.

Wolfgang Treitler
ist katholischer Theologe und Judaist

Auf den Messias warten

Doch das ist alles begrenztes Warten. Schlimmer noch – oder auch fordernder – ist das Warten, von dem der Evangelist Lukas im heutigen Evangelium spricht. Dieses Warten erinnert mich an einen Witz, den man im Judentum kennt und in einer abgekürzten Variante erzählen kann: Ein Reisender kam in ein osteuropäisches Stetl und sah am Eingang einer Synagoge einen alten Mann sitzen. Es war kalt und der Alte fror. Der Reisende fragte ihn: Was machst du da? – Der Alte antwortete: Ich sitze und warte. – Und worauf? – Auf den Messias. Dass er kommt. – Der Reisende wunderte sich und fragte: Ist das nicht eine langweilige Beschäftigung? – Der Alte darauf: Langweilig, ja, aber auch sicher.

Seit 2000 Jahren hört man immer wieder, dass Christinnen und Christen auf den wiederkehrenden Messias warten oder warten sollen – und nichts deutet darauf hin, dass er, wenn überhaupt, bald kommen wird. 2000 Jahre Warten haben gezehrt und das Christentum verändert. Wenn ich mich umblicke, erlebe ich weithin ein erwartungsloses, müdes Christentum. Man geht entweder weg oder fadisiert sich mit Liturgie, die das ewig gleiche Konzept hat, mit Botschaften, die tausendmal gehört und irgendwann einmal fad geworden sind, und so weiter.

Aufstand gegen die Langeweile

Und doch – es müsste heute anders sein: Im Wartesaal des Messias wünsche ich mir einen Aufstand gegen die Langeweile dieses Wartens, gegen die Langeweile seiner faden Leere. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass irgendetwas irgendwann schon geschehen wird.

Im Wartesaal des Messias ist es derart drückend fad, dass durch diese beklemmende Leere plötzlich der Blitz einer Inspiration zucken kann, die mich ergreift und genau das grell erhellt, wofür ich nun mein Leben setzen will. Wofür will ich leben? Wofür würde ich, wenn es verlangt wäre, auch sterben? Was bildet den Glutkern meines Lebens?

Lebenskunst
Sonntag, 11.8.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Sinn wird geschaffen und gelebt

Antworten auf diese Fragen kann man allgemein nie geben. Das kann nur der einzelne Mensch für sich entscheiden. Was aber getan werden kann und getan werden muss im Wartesaal des Messias, ist, diese Fragen zu hüten. Es sind Lebensfragen. Denn sie weisen mich an den absoluten Grund meines Lebens, an das, für das ich leben möchte und sogar sterben würde. Biblisch gesehen wird genau das Gott sein und alles das, was von ihm hergegeben ist, mit ihm zusammenhängt. Eben darauf hat der Messias Jesus hingewiesen. Und genau darauf weist auch das Warten auf die Wiederkehr des Messias hin.

In diesem Warten ist es nicht mehr fad, sondern wird die Wartezeit gestaltet; Sinn wird geschaffen und gelebt, Lebenssinn, der im langweiligen und langwierigen Warten plötzlich aufblitzen wird und mir den Glutkern des Lebens zeigen kann.

Der Kern meines Lebens ist der biblische Gott, vermittelt in Geschichten, die man erzählt von Adam bis zu Jesus. Ohne diese Botschaften, ohne die Schriften, die sie überliefern und die ich jederzeit und überall lesen kann, wäre mir das Warten sinnlos. Mit ihnen ist auch das alltägliche Warten dann doch weitaus spannender als das meiste von dem, was mich Tag für Tag in oberflächliche Aufregung versetzen könnte.