Bibelessay zu Amos 6,1a.4-7

Ein packender Bibeltext an einem Wahlsonntag in Österreich: ein seltener Zufall! Zu-Fall mit Bindestrich. Weil es einfach fällig ist, an so einem Tag über Verantwortung zu reden. Verantwortung: politisch wie religiös. Was heute unterschieden wird, ist in der Antike nicht zu trennen, „politisch-religiös“ wird als Einheit gesehen.

Und so aktuell, so treffend sich die Bibel immer wieder erweist: sie bleibt ein Buch der Antike und der heutige Abschnitt ist mehr als zweieinhalbtausend Jahre alt.

Josef Schultes
ist katholischer Theologe und Bibelwissenschaftler

„Das Fest der Faulenzer ist vorbei“ (V.7)

Scharf ist sie, die Anklage des Amos, scharf und schonungslos. Unerbittlich sein Nein im Namen JHWHs, des Herrn. Mutig sein Protest. Gilt er doch den Herrschenden seiner Zeit, der leichtlebigen Oberschicht im damaligen Israel. Um die Mitte des 8. Jh.v.Chr. tritt Amos als nabí auf, als Rufer und Mahner. Sein Wirken prallt auf ein frühkapitalistisches Wirtschaftssystem am Rand der nahen Katastrophe.

Erschreckend ist der Gegensatz zwischen dem Elfenbein-Luxus von Großgrundbesitzern und dem Taglöhner-Elend verarmter Pächter. Den üppigen Wohlstand begleitet betriebsame Religiosität. An den Festen und Feiertagen erklingen fromme Lieder, auf den Altären rauchen die Fettopfer. Doch nach diesen ‚Gottes-Diensten‘ drängt man ungeduldig zum Geschäftemachen, zum ‚Ver-Dienen‘. „Wann ist das Neumondfest vorbei, dass wir Getreide verkaufen können“, karikiert Amos die skrupellose Profitgier der Reichen, „wann ist der Sabbat vorbei, dass wir den Kornspeicher öffnen? Wir wollen das Getreidemaß kleiner machen und den zu bezahlenden Preis größer, wir fälschen die Waage zum Betrug“ (Am 8,5).

Lebenskunst
Sonntag, 29.9.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Worte eines Propheten, hart und direkt. Leider bietet aber der dreijährige Lesezyklus im katholischen Sonntagsgottesdienst nur drei kurze Abschnitte aus dem Büchlein Amos. Davon heuer gleich zwei hintereinander: vor einer Woche aus dem 8. Kapitel und heute aus dem 6. Kapitel. Jeweils auf vier Verse beschränkt, ohne jeden Kontext und ohne allen historischen Hintergrund. Wenig verwunderlich daher, dass in vielen Pfarren diese Lesung aus dem Alten, aus dem Ersten Testament entfällt. ‚Amos? Versteh’n die Leut‘ ja eh nicht‘...

„Geh, sei Prophet!“

Wer ist nun Amos, was wissen wir über sein prophetisches Profil, seine Zivilcourage? Er selbst bezeichnet sich als Viehhirt und als einen, der Maulbeerfeigenbäume züchtet (Am 7,14). Er stammt aus Tekóa, das etwa 20 km südlich von Jerusalem liegt, am Übergang vom Kulturland zur Steppe. Amos lebt und arbeitet also im Klein-Staat Juda, im Süden des damals geteilten Reiches. Warum er über die nahe Grenze ins „Nordreich Israel“ geht und dort als „Fremdling“ den Mund aufmacht, wissen wir nicht. Er mischt sich also in die gesellschaftspolitischen Verhältnisse eines anderen Staates ein. Auch wie lange er diese Art von Klartext redet, lässt sich nicht mehr feststellen. Wahrscheinlich nur kurz. Denn mächtig ist die Allianz von Thron und Altar. Das zeigt sich daran, dass der Landesverweis an Amos durch den amtierenden Oberpriester ergeht - und nicht durch den König des Nordreichs Israel.

„Das Fest der Faulenzer ist vorbei!“ Auch Menschen von heute reagieren sensibel auf Missstände politischer oder religiöser Art. Sie verstehen sehr genau, dass ein Mann wie Amos nicht gegen Genießen und Feiern an sich auftritt. Sondern dass er die Feiernden als Ausbeuter entlarvt und attackiert. Das kompromisslose Engagement des Amos fasziniert mich seit vielen Jahren. In seiner herben Sozialkritik spüre ich die Konsequenz seiner Berufung. Sie lautet bedrängend kurz: „Geh, sei Prophet!“ Lek hinabé: zwei Worte im hebräischen Original. „Geh, sei Prophet! - schweige nicht zu Missständen!