Die Herbergssuche – das Boot ist voll

Große Gestalten der Bibel – menschlich gesehen, Teil 5: Wenige Texte des Neuen Testamentes sind durch ein liebliches Brauchtum so übertüncht wie die Herbergssuche. Es geht dabei um die Erzählung des Lukas, wie Maria und Josef in Betlehem eine Unterkunft suchen und schroff vor die Tür gewiesen werden.

Als Salzburger weiß man ein Lied davon zu singen, wie schon zwei Wochen vor der Adventzeit die Touristenströme von der Stadt Besitz ergreifen und sich den diversen Adventsingen hingeben, die diese Geschichte musikalisch und szenisch ausmalen.

Josef Bruckmoser
ist katholischer Theologe, Wissenschaftsjournalist und Buchautor

Im völlig überlaufenen Bethlehem

Nun soll weder an der künstlerischen Qualität solcher Aufführungen gezweifelt werden, die teils durchaus bemerkenswert ist, noch an der guten Absicht. Zweifelhaft erscheint aber die Wirkung, die manches allzu liebliche Adventsingen auf die Besucherinnen und Besucher hat. Viele werden ergriffen nach Hause gehen, das ja, und das ist gut so. Aber die wenigstens dürften durch wohlklingende alpenländische Weisen so aufgerüttelt werden, wie es die Erzählung des Lukas angesichts der Flüchtlingsdramen von heute nahelegen würde.

Josef, der aus dem Haus und Geschlecht Davids stammte, hat sich widerwillig, aber pflichtgemäß in die Steuerlisten des verhassten römischen Kaisers eintragen lassen. Diese Volkszählung und die damit verbundene Reise von Nazaret nach Betlehem sind an sich schon Übel genug gewesen. Aber jetzt ist noch dazugekommen, dass seine Frau hochschwanger war. Jeden Tag konnte das Kind kommen. Wo sollte er mit Mutter und Säugling im völlig überlaufenen Betlehem Unterschlupf finden?

Der Messias musste aus Bethlehem kommen

„Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“ So schreibt Lukas in seiner sogenannten Kindheitsgeschichte. In dieser geht es theologisch darum, die außergewöhnliche Bedeutung dieses Abkömmlings von König David zu unterstreichen. Ob Jesus historisch in Betlehem geboren wurde oder vielleicht in einer Hausgeburt in Nazaret, ist hier nicht das Thema. Für Lukas war klar, dass der Messias, übersetzt Christus, aus Betlehem kommen musste.

Lebenskunst
Mittwoch, 25.12.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Die diversen Adventsingen halten sich daran. Sie schmücken die Abweisung des jungen Paares durch den Wirt mit bewegenden Tönen und Bildern aus. „Ich bin schließlich nicht bei der Caritas oder bei der Diakonie“, hört man den Wirt gleichsam laut denken. „Die glorreiche Idee des römischen Kaisers hat unser kleines Betlehem mit Steuerpflichtigen gefüllt. Das ist endlich das Geschäft meines Lebens, auf das ich so lange gewartet habe.“

Es war damals in Bethlehem nicht anders als heute in großen Städten, wenn ein besonderes Ereignis stattfindet. Da schnellen die Hotelpreise in die Höhe. Er verlange ja keine Wucherpreise, beruhigte der Wirt sein Gewissen. Er habe seine Tarife nur an die Nachfrage „angepasst“ – ein euphemistischer Ausdruck, mit dem Preiserhöhungen bis heute schöngeredet werden. „Für zwei Habenichtse aus Nazaret bleibt da kein Platz. Beim besten Willen nicht“, sagte sich der Wirt.

Das Boot war damals voll in Betlehem

Zumindest aus der Sicht der Einheimischen. Denn ob das Boot voll ist oder nicht, das bestimmen immer die, die schon drinnen sind. Das Fragwürdige daran ist der Maßstab. Vermutlich hätte der Wirt schon noch ein Zimmerchen gefunden, wenn ein reicher Geschäftsmann an seine Tür geklopft hätte. Aber für ein Paar ohne Geld?! Noch dazu, wo die beiden vielleicht bald ein Baby haben würden, das die halbe Nacht schreit und die zahlenden Gäste stört?!

Maria hat ihr Kind trotzdem gesund auf die Welt gebracht. Das ist die frohe Botschaft der Herbergssuche von Betlehem. So gesehen kann man sich sogar mit den diversen Adventsingen versöhnen. Vielleicht haben sie aus der Erzählung des Lukas einen wahren Kern herausgeschält: dass für das Kind alles gut war. Seine Mutter und sein Vater haben ihm die Geborgenheit gegeben, die ihm die Welt verweigert hat.