Venus, die Erhabene

Venus steht im Wasser und lockt. „Komm her“, sagt sie zu Marcello, dem Society Reporter und Schürzenjäger, gespielt von Marcello Mastroianni. Das Wasser des Trevibrunnens rauscht. Seine barocken Rundungen sind ein steinernes Echo ihrer weiblichen Formen. Es ist die berühmte Szene aus „La dolce vita“ von Federico Fellini.

Gedanken für den Tag 16.1.2020 zum Nachhören (bis 15.1.2021):

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Die Venus ist eine amerikanische Filmdiva namens Sylvia, dargestellt von der blonden Schwedin Anita Ekberg. Vor wenigen Stunden erst ist sie angekommen, und das gleich zwei Mal, denn auf Zurufe von Fotografen und Kameraleuten verschwand sie wieder im Flugzeug, um dann umso strahlender noch einmal zu erscheinen, mit weit ausgebreiteten Armen. Beim Interview im Hotel wird sie gefragt, welche Figur der italienischen Geschichte sie gerne spielen würde. Sie antwortet ohne Zögern: Kleopatra.

Göttliches und Menschliches

Beim Besuch in St. Peter trägt die Venus priesterliches Schwarz. Am Abend, nach einer dionysischen Party in den Caracalla-Thermen, zieht sie mit Marcello zu dessen Freude noch einmal los. Dass sie einen Pelz trägt und ein weißes Kätzchen findet, hat einen tieferen Grund: In diesem Moment ist sie eine Mänade, eine Begleiterin des Gottes Dionysos, der für Rausch und Extase zuständig ist. Die Mänaden trugen Tigerfelle.

Christian Rathner
ist Filmemacher und Fernsehjournalist

Marcello muss Milch besorgen. Als er zurückkommt, sieht er Sylvia im Trevi-Brunnen. Venus, die Göttin der Liebe, des Verlangens und der Schönheit, ist erschienen. Marcello steigt ins Wasser und geht zu ihr. Sie tauft ihn mit ein paar Wassertropfen. Aber als sich endlich der erste Kuss anbahnt, versiegt das Wasser. Sperrstunde in der Fontana di Trevi. Der Zauber verfliegt.

Später erzählte Marcello Mastroianni, er habe beim Drehen Angst davor gehabt, seine Hände zu zeigen, noch dazu vor Anita Ekbergs weißer Haut. Denn unzählige Zigaretten hatten bei dem starken Raucher an zwei Fingern der rechten Hand dunkle Spuren hinterlassen. Und tatsächlich: Wenn man’s weiß, sieht man’s. Die Anekdote macht noch einmal deutlich, worauf die ganze Venus-Sequenz vermutlich abzielt. Göttliches und Allzu-Menschliches. Das Erhabene als Vexierbild des Banalen. O süßes Leben.

Musik:

Filarmonica della Scala unter der Leitung von Riccardo Chailly: „La dolce vita“ / Suite aus dem gleichnamigen Film für Orchester arrangiert von William Ross, komponiert von Nino Rota
Label: Decca 4832869