Starke Frauen

Es war an einem verregneten Vormittag im Herbst, die vortragende Gastprofessorin suchte jemanden, der ihr in der Mittagspause helfen würde, eine Kiste zu tragen. Der Andrang war nicht besonders groß. Die Kiste, um die es sich handelte, war voll mit Materialien und als ich sie anhob, verlor ich kurzzeitig das Gleichgewicht, fing mich aber schnell wieder.

Gedanken für den Tag 22.1.2020 zum Nachhören (bis 21.1.2021):

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Ein Studienkollege wollte mir die Kiste mit den Worten: „Warte, ich mach das“ aus den Händen nehmen. Reflexartig umklammerte ich die schwere Kiste fester und verkündete: „Ich bin eine starke unabhängige Frau – ich mach das schon alleine.“

Ida Jaritz
ist katholische Theologin und Studierende an der Diplomatischen Akademie

Ein anderes Bewusstsein

„Ich sage das auch immer“, lachte meine Professorin. „Recht haben Sie!“ Eigentlich war ich mir gar nicht so sicher, ob ich Recht hatte. Nichts ist besonders stark daran, keine Hilfe annehmen zu können. Aber ich habe schon so oft in meinem Leben die Erfahrungen machen müssen, dass mir Dinge nicht zugetraut, oder aus der Hand genommen werden, einfach weil ich „eben doch“ ein Mädchen, eine Frau, bin. Wenn man es als Kind noch nicht gelernt hat, dann beginnt man spätestens dann an sich zu zweifeln, wenn einem die Geschlechterdiskriminierung das erste Mal bewusst wird. „Ich bin eine starke unabhängige Frau“- ist wie ein Mantra. Ich sage es manchmal, nur um es mir selbst in Erinnerung zu rufen. Bis ich mir glaube. Weil es die Gesellschaft irgendwie immer noch nicht tut.

Meine Professorin, eine Expertin in ihrem Fach und Dekanin in einer Männer-Domäne, verstand das. „Aber wissen Sie, was mir Hoffnung macht?“, fragte sie mich. „Dass meine beiden Töchter heute viel selbstverständlicher Plätze und Positionen einnehmen, für die ich mich vielleicht nicht einmal getraut hätte zu kämpfen. Weil sie ein anderes Bewusstsein haben.“ Und das macht auch mir Hoffnung, dass starke Frauen irgendwann nicht mehr um jede Kiste kämpfen müssen, und sich „helfen“ lassen, nicht mehr so schnell nach „untauglich“ anfühlt.

Musik:

Julie Fowlis: „Touch The Sky“ aus: MERIDA - LEGENDE DER HIGHLANDS von Patrick Doyle
Label: Disney Pixar 50999 915241 02