Bibelessay zu Johannes 4,5-15.19b-26.39a.40-42

Brunnen und Quellen sind heilig, Wasser ist lebensnotwendig. Das weiß der Mensch nicht erst, seit er für die großen klimatischen Änderungen sensibel geworden ist.

Brunnen sind vielleicht sogar Umschlagplätze des Lebens, Begegnungsorte, sie haben etwas Geheimnisvolles, Lebensspendendes und Lebensschöpfendes. Nach einer langen Wanderung, nach einer aufreibenden Arbeit, nach einer Durststrecke kann eine kleine Quelle eine große Verheißung sein.

Pater Karl Schauer OSB
ist Bischofsvikar in der Diözese Eisenstadt

Heilende Quellen

Der Jakobsbrunnen mitten im ausgetrockneten Land ist seit Jahrtausenden ein solcher Lebensort, heute noch. Gerne erinnere ich mich daran, als ich vor Jahren aus diesem Wasser schöpfen konnte, nahe Nablus, an der tiefsten Stelle einer oftmals zerstörten Kirche: Ein Mönch, der anscheinend allen Herausforderungen gewachsen war, hielt dort Wache. Und ich schöpfte mit einem alten verbeulten Eimer und in mir wurden die Erzählungen von Jakob und Josef, von Generationen der Bibel, von der Frau aus Samárien und ihrer Begegnung mit Jesus aus Nazareth lebendig.

Das Evangelium, das an diesem Sonntag in katholischen Gottesdiensten gelesen wird, ist eine meisterhafte Erzählung, immer, wenn ich sie höre, fordert sie mich heraus. Zunächst ist alles befremdend: die Begegnung eines jüdischen Mannes mit einer Frau in der Öffentlichkeit, das Gespräch eines Juden mit einer Samariterin, einer Frau aus einem national und religiös diversen Volk, aus einer Minderheit, die mit Skepsis betrachtet wurde.

Glaube ist Begegnung

Näher betrachtet geht es dem Theologen und Verfasser des Johannesevangeliums nicht um historische Details, vielmehr will er mich berühren und provozieren. Ich meine, lebendiger Glaube wächst nicht durch Strukturdebatten und Strukturreformen in der Kirche, mögen sie noch so gut sein. Glauben heißt auch nicht, mir eine Fülle von esoterischen Ersatzsymbolen zurechtzurichten. Glauben ist nicht das Für-Wahr-Halten von Definitionen, Dogmen und Katechismen. Glauben ist nicht nur Kopfsache oder ein buntes Gemisch von Gefühlen.

Lebenskunst
Sonntag, 15.3.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Ich meine, Glaube ist Begegnung! Begegnung mit diesem „Du“ des Gottes der Bibel, mit Ihm, der keine Ideologie, keine billige Vertröstung, keine vergoldete Figur ist. Gott tritt nicht aus der Geschichte der Menschheit heraus, sondern er schreibt die wirkliche Geschichte der Verheißung und der Erlösung, für alle Menschen, in diese konkrete Geschichte ein. Für mich setzt Gott immer Zeichen des Lebens: in der Schöpfung, in der Erwählung und Berufung seines Volkes, in seiner Menschwerdung. Auch im Kreuz und im Leiden des Jesus von Nazareth ist er auf der Seite des Menschen. Und in seiner Auferstehung und in der Zusage seines Kommens lässt er die Menschen in ihrer Fragwürdigkeit, oft auch in ihrer Ausweglosigkeit nicht sozusagen festgenagelt. Ich glaube, Gott ist nicht eine „höhere Gewalt“, verschlossen in Transzendenz und Allmacht. Vielmehr ist er in seiner Ohnmacht, in der Ohnmacht der Liebe, in seiner Entäußerung immer konkret, angreifbar, verwundbar, aber auch beglückend erfahrbar.

Die Quellen meines Lebens

Im Sakrament der Taufe, das viele Kinder und Erwachsene in den christlichen Kirchen erhalten und das im Ostergeschehen seinen Ursprung hat, nimmt diese Begegnung mit Gott Gestalt an. Das heißt nicht, dass ich deshalb versuche, Realitäten aus meinem Leben zu verdrängen: Nicht die Sorge um die Krankheit, die vielleicht über mich herfällt, nicht die sinnlosen Kriege in dieser Welt mit ihrer fragwürdigen Zukunft, nicht die flüchtenden Menschen an den Grenzen, nicht die bange Frage nach den Ressourcen dieser geplagten Erde, auch nicht die Frage, was von meinem Leben letztlich bleiben wird. Aber ich ahne und vertraue, dass ich zur Quelle gehen darf, dass einer für mich schöpft, einer, der das lebendige Wasser, ja das Leben für mich ist.

Und zugleich glaube ich fest daran: Das ist viel mehr als individuelle Leistung, mehr als spirituelle Selbstverwirklichung, mehr als ein alternativer Lebensentwurf. Für mich ist das die Wirklichkeit des Glaubens: Der Gott der Bibel, der letztlich immer für mich da ist, der mich von Anfang an mit Freiheit ausgezeichnet hat, macht mich fähig, aufzuleben, Leben zu empfangen, an den Quellen zu schöpfen. Ich hoffe und vertraue: Der Jakobsbrunnen ist auch für mich nicht vertrocknet – er gibt mir Hoffnung, Trost und Gewissheit in schwierigen Zeiten.

Und ich weiß, diesen Jakobsbrunnen gibt es nicht nur in Sychem am Fuss des Berges Garizim. Ich kann diesen Brunnen in meinem Leben finden und wenn Er dort auf mich wartet und um Wasser bittet: Werde ich aus den Quellen meines Lebens schöpfen können?