Was bleibt aber, stiften die Dichter

Zum 250. Geburtstag von Friedrich Hölderlin: Was für ein Leben! Nach bürgerlichen Wertmaßstäben war das Leben dieses Johann Christian Friedrich Hölderlin ein einziges Scheitern: Zwei Jahre nach seiner Geburt am 20. März 1770 stirbt sein Vater, sieben Jahre danach sein Stiefvater.

Gedanken für den Tag 16.3.2020 zum Nachhören (bis 15.3.2021):

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Später wird er in einem Brief an die Mutter seinen Hang zur Melancholie auf den Tod ihres zweiten Ehemannes zurückführen. Die schwäbische Hausfrau und Pfarrerstochter schickt ihren Erstgeborenen zuerst in die Klosterschule in Maulbronn und danach ins Tübinger Stift. Er soll der Familientradition entsprechend Pfarrer werden. Wurde diese Ausbildung doch vom württembergischen Herzog mit einem Stipendium gefördert, wenn der Studiosus danach als Pfarrer zur Verfügung steht.

Harald Klauhs
ist Literaturredakteur der Tageszeitung „Die Presse“

Ein Turmzimmer in Tübingen

Genau das wollte der junge Friedrich aber nicht. Nach Abschluss des Theologie-studiums ist er jahrelang damit beschäftigt, seiner Mutter schonend beizubringen, dass er keine Pfarre übernehmen möchte. Er probiert es erst einmal als Hofmeister, also Privatlehrer, zu reüssieren. Doch seine diesbezüglichen Versuche enden zumeist kläglich. Immer wieder ist er gezwungen, Geld von seiner Mutter zu erbetteln. Endlich erhält er in Frankfurt einen für ihn maßgeschneiderten Posten als Hofmeister. Und was macht er? Er verliebt sich in die Hausherrin, die mit einem angesehenen Bankier verheiratet ist. Nach kurzem Glück wird er aus nachvollziehbaren Gründen vom Gemahl seiner Geliebten des Hauses verwiesen.

Auch aus weiteren Berufsoptionen wird nichts: Selbst Schiller schafft es nicht, Hölderlin eine Stelle an der Universität Jena zu verschaffen. Ein Zeitschriftenprojekt scheitert bereits im Planungsstadium. Zuletzt wird er auf der Heimreise aus Bordeaux vollends wirr im Kopf. Er hatte mehr Zurückweisung erfahren, als er verkraften konnte. Nach einem Klinikaufenthalt verbringt er die zweite Hälfte seines Lebens in einem Turmzimmer in Tübingen. Ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod aber entdeckte man einen Dichter, der die Sprache erneuert hatte, der die Lyrik thematisch geweitet hatte, und an dem keiner vorbeikam, der nach ihm noch ein Gedicht in deutscher Sprache schreiben wollte. Hölderlins Leben illustriert somit eindringlich den Satz von Karl Jaspers, wonach Scheitern kein Gegenargument gegen die Wahrheit ist.

Musik:

Rudolf Buchbinder/Klavier: „Moderato - 1. Satz“ aus: Sonate für Klavier Nr. 6 in C-Dur Hob. XVI/10 von Joseph Haydn
Label: Teldec 8357931