Hölderlin und die Dichtung

„Ach! der Menge gefällt, was auf dem Marktplatz taugt, / Und es ehret der Knecht nur den Gewaltsamen, / An das Göttliche glauben / Die allein, die es selber sind“.

Gedanken für den Tag 21.3.2020 zum Nachhören (bis 20.3.2021):

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„Menschenbeifall“ überschrieb Hölderlin dieses Gedicht. Um den ist es ihm nie gegangen, auch wenn er vor seiner geistigen Umnachtung darüber klagte, dass er nicht gebraucht werden würde. Das Eingängige, das Gassenhauermäßige, war Hölderlins Sache nicht. Nur wenige Verse von ihm sind in den Volksmund eingegangen. Einer davon ist: „Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch“ aus der Hymne „Patmos“. Selbst in diesem leicht merkbaren Satz verhindert die ungewöhnliche Wortstellung, diesen Satz gedankenlos auszusprechen. Genau das ist eine der Stärken von Hölderlins Dichtung.

Harald Klauhs
ist Literaturredakteur der Tageszeitung „Die Presse“

Hang zum Heiligen

Zugleich ist der hohe Ton aber ein Hindernis für Popularität. Leicht macht es einem dieser Dichter nicht. Weder thematisch noch sprachlich. In den Göttern des alten Griechenlands sah er die Personifikation von menschlichen Gefühlen. Seine Absicht war nun, diese Götter als wirksame Kräfte gerade auch der neuzeitlichen Wirklichkeit erfahrbar zu machen. Sein poetisches Programm bestand darin, die Kulturen zusammenzuführen, das orientalische Pathos mit der Nüchternheit des Abendlandes. Von daher lassen sich auch seine Komposita verstehen, die scheinbare Gegensätze zusammenfügen wie heilignüchtern oder traurigfroh. Hölderlin ringt in allem darum, die Widersprüche auszuhalten anstatt sie aufzulösen.

Für uns ist es nicht mehr leicht nachvollziehbar, wenn der Sinn von Versen sich nicht in der Semantik erschließt, sondern in der Prosodie, also in den Reglements der Gedichtzeilen. Für Karl-Heinz Ott ergibt sich daraus ein Hang zum Vieldeutigen und Schwerverständlichen. Oder eben zum Heiligen. Navid Kermani nennt Hölderlins Dichtung einen Spiegel der geisterfüllten Welt. Der verrückte schwäbische Dichter ist somit einer der Letzten, wie Rüdiger Safranski am Ende seiner Biografie schreibt, der die Erinnerung an das Heilige in einer transzendenzlosen Moderne bewahrt. Anders formuliert: Man muss groß denken und bescheiden leben, das ist die Botschaft dieses Dichters an unsere Zeit, in der bescheiden gedacht und groß gelebt wird.

Musik:

Alfred Brendel/Klavier: „Menuet. Tempo di menuet - 2. Satz“ aus: Sonate für Klavier Nr. 47 in h-moll Hob. XVI/32 von Joseph Haydn
Label: Philips 4122282