Bibelessay zu Johannes 11,3-7.17.20-27.33b-45

Zunächst einiges an Fakten. Das Dorf, in dem diese Wundergeschichte spielt, liegt am Osthang des Ölbergs, im Neuen Testament heißt es Betanien. Sein heutiger Name lautet El Azariya, eine hohe Mauer aus Stahlbeton trennt es von der nahen Stadt Jerusalem.

El Azariya kann auf eine sehr lange Tradition zurückgreifen. Denn schon im Pilgerbericht der Aetheria aus dem späten 4. Jahrhundert wird das Grab als „Lazarion“ bezeichnet. Und bereits in byzantinischer Zeit gab es über dem Grab des Lazarus eine Basilika, auf ihren Fundamenten steht die heutige Kirche. Erbaut wurde sie nach Plänen von Antonio Barluzzi; von ihm stammen auch die Kirchen auf dem Berg Tabor sowie auf dem Berg der Seligpreisungen im heutigen Israel. Über dem Hochaltar aus grünem jordanischem Marmor befindet sich in der Lazaruskirche ein Mosaikbild. Darauf tröstet Jesus die beiden Schwestern Maria und Marta mit den Worten: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“. – Soweit zur „Außenseite“ von Betanien, wie sie mir als Leiter von Studienreisen „Auf den Spuren der Bibel“ vertraut ist.

Josef Schultes
ist katholischer Theologe und Bibelwissenschaftler

Ich-bin-Worte

Jetzt aber zur „Innenseite“ dieser Erweckungserzählung, von der ich als Theologe seit vielen Jahren fasziniert bin. Bildet sie doch das Zentrum des Evangeliums nach Johannes. In seinem Aufbau nehmen lange Offenbarungsreden viel Raum ein. Es sind Selbstaussagen des Jesus aus Nazareth, die in den sogenannten „Ich-bin-Worten“ gipfeln. Eines davon steht in der Mitte des eben gehörten Abschnitts, der ungekürzt ganze 46 Verse umfasst. Es lautet: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (V.25a). Um aber johanneisch denken oder besser: glauben zu lernen, ist dieses „Ich bin“ mit Blockbuchstaben zu schreiben. Und es ist dann anders zu lesen bzw. zu betonen, nämlich so: „ICH BIN die Auferstehung und ICH BIN das Leben“.

Insgesamt finden sich sieben dieser „Ich-bin-Worte“ Jesu im Johannesevangelium. Sein Verfasser setzt sie bewusst und direkt in Bezug zum „Ich-bin-da“, wie JHWH, der Gottesname vom Berg Horeb in der hebräischen Bibel gedeutet wird. „Ich-bin-da“: EGO EIMI übersetzt die griechische Septuaginta. EGO EIMI schreibt auch Johannes im griechischen Original seiner Frohbotschaft. Und jedes der „ICH BIN-Worte“ Jesu – „das Brot des Lebens“, „das Licht der Welt“, „der gute Hirte“, um nur drei zu nennen – jedes dieser Bild-Worte ruft nach einer Ant-Wort, nach glaubender Zustimmung. In diesem Bibeltext ist es Marta, die Schwester des Lazarus, die ihren Glauben bekennt, noch vor Jesu lebenswirkendem Handeln.

Lebenskunst
Sonntag, 29.3.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Credo der Marta

Das Johannesevangelium kennt nicht nur sieben „Ich-bin-Worte“, sondern auch sieben Wunder oder zutreffender: sieben semeja, sieben „Zeichen“. Das erste ist den meisten seit Kindertagen bekannt, die sogenannte „Hochzeit von Kana“. Das letzte, das siebente Zeichen, ist die Erweckung des Lazarus. Es gibt davon viele bildliche Darstellungen, die meisten sind aber recht schlicht und naiv – wie manche Auslegung vor versammelter Gemeinde. Denn, pardon, eine Leiche nach vier Tagen zu reanimieren, damit ihr ein zweites Mal der Weg zum Grabe offen steht: das greift zu kurz und reduziert den Ernst dieser Zeichen-Erzählung!

Denn als das Johannesevangelium geschrieben wurde, da regieren Domitian oder Trajan das Imperium Romanum. Kaiser- plus Götterkult oder Anklage plus Verfolgung: keine angenehme Alternative für Christen am Ende des 1. Jahrhunderts. Vielleicht, so frage ich mich heute, eine Woche vor dem Palmsonntag, vielleicht will die Lazarus-Geschichte auch eine Ermutigungsgeschichte in Zeiten der Passion sein. Das letzte Wort hat nicht der Tod, sondern die Auferstehung! Marta spricht ihr Credo als Stellvertreterin: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt“ (V.27). Das Credo der Marta, kurz und klar, gültig auch für mich, denn ich glaube: Der Auferstandene lebt.