Zum 75. Todestag von Dietrich Bonhoeffer

Heute vor 77 Jahren, am 5. April 1943, rief Dietrich Bonhoeffer seine Schwester Christine von Dohnanyi an. Im Hintergrund am anderen Ende der Leitung hörte er eine ihm unbekannte Männerstimme. Bonhoeffer wusste, was das zu bedeuten hatte.

Zwischenruf 5.4.2020 zum Nachhören (bis 4.4.2021):

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Er räumte seinen Schreibtisch. Einige seiner Schriften verbarg er in den Dachsparren seines Hauses. Am späteren Nachmittag wurde er von Oberkriegsgerichtsrat Roeder und dem Gestapo-Mann Sonderegger in einem schwarzen Mercedes abgeholt. Er war 37 Jahre alt.

Michael Chalupka
ist Bischof der evangelischen Kirche A.B. in Österreich

Tod in freiwilliger Einwilligung

Der protestantische Theologe und Pfarrer Dietrich Bonhoeffer war schon über ein Jahr in Haft, als ihm die Beteiligung am gescheiterten Attentatsversuch gegen Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 von der Gestapo nachgewiesen wurde. Heute vor 75 Jahren, am 5. April 1945, befahl Hitler die Hinrichtung aller gefangenen Verschwörer. Vier Tage später wurde Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg von einem eilig zusammengerufenen Standgericht für schuldig befunden, und verurteilt. Er starb am 9. April am Galgen.

Zwischen Dachziegeln und Sparren hatten die Schriften, die Bonhoeffer vor seiner Verhaftung versteckt hatte, das Kriegsende überdauert. In einem Rückblick auf zehn Jahre der Naziherrschaft in Deutschland, einer kurzen Schrift, die er um den Jahreswechsel 42/43 für enge Freunde und Mitverschwörer geschrieben hatte, scheint er seinen Tod geahnt zu haben. „Noch lieben wir das Leben, aber ich glaube, der Tod kann uns nicht mehr sehr überraschen. Nicht die äußeren Umstände, sondern wir selbst werden es sein, die unseren Tod zu dem machen, was er sein kann, zum Tod in freiwilliger Einwilligung.“

Leben in Radikalität

In dieser Schrift wird ein Mensch spürbar, der seine Existenz in aller Radikalität lebt, von der Endlichkeit weiß, aber die Hoffnung nicht fahren lässt. „Es schien uns bisher zu den unveräußerlichen Rechten menschlichen Lebens zu gehören, sich einen Lebensplan entwerfen zu können, beruflich und persönlich. Damit ist es vorbei. Wir sind durch die Macht der Umstände in die Situation geraten, in der wir darauf verzichten müssen, ‚für den kommenden Tag zu sorgen‘ (Math. 6,34). (Uns bleibt nur der sehr schmale und manchmal kaum noch zu findende Weg, jeden Tag zu nehmen, als wäre er der letzte, und doch in Glauben und Verantwortung so zu leben, als gäbe es noch eine große Zukunft.) Mag sein, dass der jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.“

Zwischenruf
Sonntag, 5.4.2020, 6.55 Uhr, Ö1

Das geht vielen in diesen Tagen der Krise nahe, erleben wir doch gerade in dieser Situation, dass vieles, was wir uns für unsere Zukunft vorgenommen haben, nicht mehr gilt. Die Zukunft ist nicht mehr verfügbar. Die Unverfügbarkeit des Lebens wird in Zeiten der Corona-Pandemie spürbar wie lange nicht.

Glaubensbekenntnis

In dem Schreiben an seine Freunde, das in den Dachsparren gefunden wurde, findet sich auch ein Glaubensbekenntnis, das Eingang in die Bekenntnisse der evangelischen Kirche gefunden hat. Ein Bekenntnis zum Trost in schweren Zeiten: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. (Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.

An der Westseite der Westminster Abbey findet sich eine Statue von Dietrich Bonhoeffer, unter all den anderen Heiligen. Dabei ist den protestantischen Kirchen die Heiligenverehrung fremd. Doch Heilige können auch Vorbild sein und Trost spenden in Zeiten der Not. So spreche ich mit ihm: „Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.“