Bibelessay zu Johannes 12,12-19

Wie viele Menschen mögen das gewesen sein? Damals in Jerusalem, als Jesus aus Nazareth mit seinen Jüngerinnen und Jüngern in Jerusalem eingezogen ist.

Das Passafest stand vor der Tür, Jerusalem war voller Pilger, die zum Fest gekommen waren. Dazu die Händler, die Märkte – überall Menschen, die handeln und einkaufen, aneinander vorbeidrängeln. Sie alle freuen sich auf das Fest, eines der wichtigsten im Judentum: Die Juden feiern an Passa, hebräisch: Pessach, die Befreiung aus Ägypten, als Gott sie herausgeführt hat aus der Sklaverei und einen Bund mit dem Volk Israel geschlossen hat.

Marco Uschmann
ist evangelischer Theologe und Pfarrer für Öffentlichkeitsarbeit in der Evangelischen Kirche in Österreich

Sehnsucht nach Freiheit

Wie viele Menschen mögen es gewesen sein, damals in Jerusalem? Tausende? Unvorstellbar in den heutigen Tagen, in Zeiten von Corona. Unsere Straßen sind leergefegt, die Menschen dürfen nur aus bestimmten Anlässen vor die Tür. Und wenn sie dann einkaufen gehen oder zur Arbeit fahren, dann müssen sie Masken tragen und gehen einander aus dem Weg: „Social Distancing“ ‒ sich voneinander distanzieren, ist das Gebot der Stunde. Menschen müssen voreinander ausweichen, und das wohl noch einige Wochen. Das ist besonders schmerzhaft für die anstehenden Osterfeierlichkeiten – und wohl auch für die bevorstehenden Pessach-Feierlichkeiten - und das ist besonders schmerzhaft heute. Üblicherweise gibt es heute Prozessionen, Menschen ziehen mit Palmzweigen zu den Kirchen. Viele feiern Festgottesdienste, bereiten sich auf die Karwoche und auf Ostern vor. Einmal mehr merken viele Menschen, dass sich vieles verändert hat in den vergangenen Wochen.

Zurück nach Jerusalem: Der Verfasser des Johannesevangeliums verknüpft Jesus mit der Befreiung aus der Sklaverei: Gott verhilft den Juden zur Freiheit, und als sie sich auf dieses Fest vorbereiten, zieht Jesus in Jerusalem ein. Auf einem Esel, wie die Heilige Schrift dies prophezeit hat. Von einem König ist die Rede, der kommt im Namen des Herrn. Kein Wunder, dass die Menschen jubeln und einen Triumphzug aus dem Einzug Jesu machen. Er soll ihre Sehnsucht erfüllen, so wie damals, als ihr Volk befreit wurde aus der Sklaverei. Es ist die Sehnsucht nach Freiheit und selbstbestimmtem Leben: machen zu können, was einem in den Sinn kommt. Feste feiern, Gottesdienste feiern, miteinander das Leben genießen. Diese Hoffnung an den Gott der Bibel eint glaubende oder religiöse Menschen, eint Christinnen und Christen heute mit den Menschen im antiken Jerusalem. Was aber, wenn all die Hoffnung zerbricht? Wenn der König stirbt? Wenn die römische Besatzungsmacht die Oberhand behält, wie damals in Israel?

Fürchte Dich nicht

Wie es mit den Urchristen weitergegangen ist, ist bekannt: Sie haben ihre Hoffnung nicht verloren. Sie haben das Evangelium und die Frohe Botschaft weitererzählt. Haben einander getröstet. Das sagt sich so leicht. Und dennoch: Vielleicht kann es helfen, darauf zu schauen, was die Menschen damals einander erzählt haben. Vermutlich werden da auch Worte gefallen sein wie „Fürchte dich nicht“, so wie in unserer Geschichte beim Einzug des Jesus aus Nazareth in Jerusalem. Das zeigt das Vertrauen, das die Menschen in Gott hatten und das sie gehalten hat. Auch in schwierigen Zeiten. Mir fällt dazu ein weiterer schöner Satz aus der Bibel ein, der in diesen Zeiten vielleicht helfen und trösten kann: „Ich bin der HERR, dein Gott, der deine rechte Hand fasst und zu dir spricht: Fürchte dich nicht, ich helfe dir!“ (Jes 41,13)

Diese Worte des Propheten Jesaja können helfen, darauf zu vertrauen und zu hoffen: Nächstes Jahr feiern wir wieder Palmsonntag, so wie wir es gewohnt sind.