Covid-19 in Nairobi

Im Herbst habe ich in Nairobi ein Hilfsprojekt besucht, das von der Dreikönigsaktion finanziert wird. Die „Barmherzigen Schwestern“ betreiben in den Slums ein Heim für Straßenkinder, Schulen und eine kleine Klinik.

Zwischenruf 19.4.2020 zum Nachhören (bis 18.4.2021):

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Als uns die ersten Nachrichten von Corona-Fällen in Ostafrika erreicht haben, habe ich Sr. Mary gefragt, wie es ihnen geht.

Christian Herret
ist Mitarbeiter der Dreikönigsaktion der katholischen Jungschar

"Lieber Christian,

Es stimmt, Covid-19 ist in Nairobi angekommen. Die offiziellen Zahlen sind noch sehr gering, aber es wird auch wenig getestet. Wir befürchten das Schlimmste. Das kenianische Gesundheitssystem ist nicht in der Lage, eine große Anzahl von Fällen zu bewältigen. Schon wenige hundert Intensivpatient/innen würden nur schwer betreut werden können.

Nairobi steht offiziell still

Die Maßnahmen und Empfehlungen der Regierung unterscheiden sich nicht von jenen in den anderen Teilen dieser Erde: Wasch deine Hände - regelmäßig und gründlich. Social Distancing – halte mindestens einen Meter Abstand und – Home-Office – arbeite von zu Hause aus.

Theoretisch sind wir vor dem Virus alle gleich. In der Praxis unterscheidet sich unser Leben so sehr von dem Deinen in Österreich, dass man daran zweifeln kann, dass wir auf demselben Planeten zu Hause sind.

Regelmäßig Hände waschen? Für euch die einfachste Sache der Welt. Die Menschen im Mukuru Slum können sich sauberes Wasser und Seife schlicht und einfach nicht leisten, um sich regelmäßig die Hände zu waschen.

Zwischenruf
Sonntag, 19.4.2020, 6.55 Uhr, Ö1

Social Distancing? Bei euch in Wien leben rund 4.500 Menschen pro km², im Mukuru Slum kommen auf einen km² über 83.000 Menschen. In einer der Abertausenden für die Slums von Nairobi so typischen Wellblechhütten – die meisten von ihnen messen nicht einmal 10m² - leben im Durchschnitt zwischen 5 bis 10 Menschen. Wie willst so Abstand wahren, der die Ansteckungsgefahr minimiert?

Home-Office? Die Menschen hier haben keine regulären Jobs. Sie sind im „informellen Sektor“ tätig. Sie haben kleine Straßenläden, verrichten Dienstleistungen, produzieren und verkaufen direkt auf der Straße. Können sie diesen Beschäftigungen nicht nachgehen – so wie jetzt zur Zeit des Lockdown - haben sie kein Einkommen. Haben sie kein Einkommen gibt’s nichts zu essen.

3 Orangen, Maismehl, Wasser, Seife...

Ein weiterer Umstand, der die Opferzahlen der Pandemie stark in die Höhe schnellen lassen könnte, ist die schlechte Verfassung vieler Slumbewohner/innen. Viele leiden unter den Folgen jahrelanger Mangelernährung.

Wir haben jetzt begonnen „Immunsystem Booster Packages“ zu verteilen. Ein Paket enthält: 3 Orangen, 1 kg Maismehl, Wasser, Desinfektionsmittel und Seife. Wir sind uns bewusst, dass sich damit der Virus nicht stoppen lässt. Aber das Immunsystem stärken, ist das Einzige was wir tun können."

Ihr Mail schließt mit dem Satz: „Wir sind glücklich und Gott dankbar, dass wir jetzt hier sind und den Menschen, die uns brauchen, helfen können.“

Sie meint es ernst!

Sr. Mary ist eine Mitt-Siebzigerin mit dem Tatendrang einer Dreißigjährigen. Ihre Augen strahlen, wie die eines Kindes, wenn sie von den Kindern im Mukuru-Slum erzählt. Vor über 40 Jahren ist die kämpferische Irin nach Nairobi gegangen und hat dort in Slums der afrikanischen Metropole ihre Bestimmung gefunden. Wo andere angesichts der Not und Armut die Hoffnung aufgaben, sah Sr. Mary eine Gelegenheit, Gutes zu tun. Die Quelle ihrer Kraft ist – auch wenn das kitschig klingt – ihr Glaube.

Wobei, ich würde Sr. Mary nicht als fromm bezeichnen. „Not lehrt beten“ – sagt ein altes Sprichwort. Bei ihr scheint es eher umgekehrt. Wenn irgendwo Not an der Frau ist, legt sie ihr Gebetsbuch weg und packt an.