Was mich in der Krise trägt

Nichts wird nach Corona so sein wie vorher… Klingt das nicht wie eine Drohung?

Ermüdet von Home-Office, erzwungenem Rückzug in die eigenen vier Wände und dem Wegfall lieber Gewohnheiten sehnen sich viele Menschen nach der Rückkehr in den gewohnten Alltag – nicht in einen „neuen Alltag“, der ja doch nur eine euphemistische Umschreibung der Maßnahmen von Maskentragen bis Distanzhalten ist. Das macht Angst. Von den Existenzängsten, die jene haben, deren Lebensgrundlage gerade weggebrochen ist, gar nicht zu reden.

Carla Amina Baghajati
ist Obfrau des Forums muslimischer Frauen in Österreich

Frei für Neues

Sich gegenseitig versichern, dass in der Krise auch eine Chance liege – hat das nicht längst einen schalen Beigeschmack? Derartige fast trotzig vorgebrachte Beteuerungen können tatsächlich in eine emotionale Sackgasse führen, vor allem, wenn dahinter der innerliche Druck steckt, wie gewohnt „funktionieren“ zu müssen, keiner derjenigen zu sein, die den Anschluss verlieren. An mich herankommen zu lassen, dass sich die gewohnte Welt – und damit vielleicht ich selbst – gerade radikal verändert, ist nicht leicht.

Sich freizumachen vom ersten Reflex, angesichts der Veränderungen möglichst alles Gewohnte hinüberretten zu müssen in die andere Zeit, macht frei für Neues. Vor allem aber gelingt es, sich weniger in ein unliebsames Schicksal hineingeworfen zu empfinden, sondern vielmehr als eigenständig Handelnde(r).

Ramadan ist mir da willkommen. Ich freue mich heuer besonders darauf. Das wundert mich selbst. Denn was soll das für ein Ramadan werden, in dem Social Distancing angesagt ist? Kein Gemeinschaftsgebet in der Moschee, keine Einladungen zum gemeinsamen Fastenbrechen, keine Freitagsgebete.

Ein anderer Ramadan als sonst

Es wird ein anderer Ramadan sein als sonst. Vielleicht intensiver? Wenn es im Ramadan heißt: „im Verzichten gewinnen“ - dann klingt das heuer noch einmal anders. So reduziert, wie wir momentan leben, verschiebt das die Perspektive ohnehin. Eine Chance, sich des wirklich Wesentlichen bewusst zu werden. „Vielleicht werdet ihr dankbar sein“, sagt Gott im Koran direkt im Anschluss an die Verse zum Fastengebot. Sich freuen können an vielem, das eben nicht selbstverständlich ist: pure Lebensfreude empfinden im Genießen eines Frühlingstages oder beim guten Essen nach dem Fasten.

Lebenskunst
Sonntag, 26.4.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Auch die Beziehungen zu uns wichtigen Menschen erscheinen auf einmal besonders kostbar. Ja, gemeinsames Wohnen kann derzeit in dieser dauernden Nähe auch herausfordernd sein. Gleichzeitig können wir uns die Zeit nehmen, einander besser zuzuhören und füreinander da zu sein. Das gilt auch für die Beziehungen, die wir nur aus der Distanz leben können. Die Ramadaneinladung fällt zwar aus. Stattdessen kann ich versuchen, jeden Tag ein oder zwei Menschen anzurufen und ein ausführliches Gespräch zu führen. Dankbar sein auch für die Leistungen all derer, die in der Krise ihren Beitrag leisten. Und selbst überlegen, wie ich helfen könnte. Ramadan als Monat des sozialen Ausgleichs und der Versöhnung hat gerade dieses Jahr große Bedeutung.

Ein gegenseitiges Versprechen

In der Krise bekommen vielleicht auch Begriffe, die aus dem täglichen Sprachgebrauch schon verschwunden schienen, einen neuen Klang: Gottvertrauen etwa. Dazu fällt mir ein Versprechen ein, das Gott den Menschen im Koran gibt: „Mit der Erschwernis kommt auch die Erleichterung. Wahrlich mit der Erschwernis kommt die Erleichterung.“ Es liegt an mir, jeweils für mich ganz persönlich offen zu sein, diese Erleichterung zu sehen und dann aus ihr Kraft zu schöpfen.

Demut ist ein anderes dieser scheinbar altmodischen Wörter. Wie solch ein kleines, mit bloßem Auge unsichtbares Virus alles menschliche Planen auf den Kopf stellt, wirft einen auf die eigene Begrenztheit zurück. Das hat nichts mit sich klein Machen zu tun oder gar mit Duckmäuserei. Es erinnert mich vielmehr daran, dass wir alle miteinander verbunden sind. Als Weltgemeinschaft Verantwortung für uns und für unseren Planeten übernehmen müssen.

Nichts wird nach Corona so sein wie vorher. Das könnte auch ein gegenseitiges Versprechen sein.