Krisenbewältigung in der Bibel

Viele der Einwohner Jerusalems werden nach Babylon deportiert. Menschen machen die traumatisierende Erfahrung, dass alles für sicher Gehaltene wie die Heimat, die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse oder auch die gewohnten religiösen Praktiken – ins Wanken gerät. Geschehen ist das zur Zeit des Propheten Jeremia vor etwa 2.600 Jahren.

Zwischenruf 24.5.2020 zum Nachhören (bis 23.4.2021):

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Und eben dieser Prophet Jeremia hat da ganz praktischen Rat zur Krisenbewältigung: Sorgt für Normalität und Routine – inmitten Ungewohntem! Oder, wie es der Prophet formuliert: „Baut Häuser und wohnt darin, pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären.... Suchet der Stadt Bestes...“ (Jer 29,5-7). Und: Vertraut weiter auf Euren Gott, bleibt im Gespräch mit ihm, denn er ist nicht nur in Jerusalem, sondern auch in Babylon zu finden, er weiß um alle Verzweiflung und Resignation.

Jutta Henner
ist Direktorin der Österreichischen Bibelgesellschaft

Im Gespräch bleiben

Ich blättere in der Bibel zum Buch Hiob. Hiobs Krisenerfahrung – den stufenweisen Verlust von allem, von seinem Besitz, was noch verschmerzbar wäre, dann von seiner Familie und schließlich von seiner eigenen Gesundheit, das bringt ihn über seine eigenen Grenzen. Diese Erfahrung möchte niemand machen müssen. Hiob weiß nicht mehr aus noch ein mit seiner Verzweiflung und seinen Fragen. Und dann hat er noch Freunde, die ihn mit ihren wohlmeinenden Erklärungen, wie Gott und die Welt funktionieren sollen, nur noch tiefer in die Krise treiben.

Hiob schreit seine ganze Verzweiflung, all seine Fragen heraus – er darf aus seiner Not zu seinem Gott schreien, er darf ihm sein Leid klagen – und er darf ihn sogar anklagen. Ein anderes biblisches Modell der Krisenbewältigung: mit Gott im Gespräch bleiben, dennoch, trotzdem. Und erst am Ende, ganz am Ende der durchlebten Krise wird Hiob erkennen, dass Gott bei ihm war, anders als er es sich vorgestellt hat allerdings, auch wenn er, Hiob, auf so viele seiner Fragen noch immer keine Antwort hat. Den billigen Antworten der Freunde, die glauben, den vermeintlichen Willen Gottes zu kennen, diesen jedoch erteilt sogar Gott selbst eine Absage...

Alltagsroutinen in der Krise

Ich blättere weiter, ins Neue Testament. Die Jünger Jesu sind nach dessen Tod verstört; auch dass er ihnen am dritten Tag in ganz anderer Form begegnet ist, lässt sie überfordert und fragend zurück. Sie verlassen Jerusalem und ziehen sich in ihre alte Heimat zurück. Sie arbeiten, wie einst, als wäre nichts gewesen dazwischen, als Fischer. Alltag, Normalität, Gemeinschaft. Nur leider zunächst ohne sichtbaren Erfolg. Der Aufforderung eines Fremden, auch ohne sichtbare Perspektive auf Erfolg einfach weiter zu machen, leisten sie Folge. Und sie werden mehr als überrascht! Ihre Arbeit trägt Früchte – und obendrein machen sie noch die Erfahrung, dass sie ja gar nicht allein gelassen sind – der Auferstandene Jesus ist bei ihnen, mit einem neuen Auftrag und neuen Aufgaben. Aber zuerst einmal wird miteinander kräftig gefrühstückt.

Zwischenruf
Sonntag, 24.5.2020, 6.55 Uhr, Ö1

Das Blättern in der Bibel zeigt: Krisen gehören dazu. Die Bibel zeigt, wie wichtig ein heilsamer Rhythmus im Leben sein kann und wie wichtig ein Wechsel der Perspektive ist. Sie zeigt, dass es in jeder Krise ganz wichtig ist, das Erlebte in Worte zu fassen: Für die Menschen der Bibel sind Fragen, Verzweiflung und Zorn bei Gott gut aufgehoben.

Oder um es noch einmal praktisch zu fassen: Alltagsroutinen sind gerade in Zeiten der Krise hilfreich. Nicht Ängste, sondern das Gestalten des Lebens unter neuen Bedingungen ist gefragt. Erinnerung an Bewährtes auf neue Weise fruchtbar machen schafft Perspektive. Und: Was mich umtreibt, zur Sprache bringen.