„Was glauben Sie?“ - Ernst Gehmacher

Als der Sozialwissenschaftler Ernst Gehmacher am 6. August 1924 in Salzburg das Licht der Welt erblickte, waren seine Rahmenbedingungen des Aufwachsens alles andere als gut.

De facto wuchs er – so wie viele seiner Generation - „vaterlos“ auf, weil die Väter entweder tot, körperlich versehrt oder psychisch schwer verwundet waren, während die alleinerziehenden Mütter oft mit der Kinderschar überfordert waren. Sein Vater kam als Alkoholiker aus dem 1. Weltkrieg zurück und war bald darauf persönlich und wirtschaftlich am Ende.

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Samstag, 6.6.2020, 19.05 Uhr, Ö1

Berater von Regierung und Sozialpartnern

Als Ernst im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs mit 17 Jahren an die Front geschickt wurde, rettete ihm, der den Nazis zeitlebens gegenüber kritisch eingestellt war, eine Untauglichkeitsbescheinigung das Leben. Nach dem Krieg studierte er Landwirtschaft an der damaligen Hochschule für Bodenkultur in Wien und arbeitet daraufhin als Landwirtschaftlicher Angestellter auf einem Gutshof südlich von Wien.

Als die „Maschinenzeit“ und mit ihr soziale Spannungen beim Kampf um gerechten Lohn und Arbeitsplätze aufkamen, begann Ernst Gehmacher für die „Arbeiter-Zeitung“ zu schreiben. Fünf Jahre lang arbeitete er dort als Redakteur, studierte parallel dazu Soziologie in Wien und wurde Universitätsassistent beim Soziologen Leopold Rosenmayr. 1965 kam er an das neugegründete Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) und baute es als Markt- und Meinungsforschungsinstitut auf, wurde 1968 dessen Wissenschaftlicher Leiter und 1976 Geschäftsführer. Ab den 1980er Jahren war Gehmacher ein gefragter sozialwissenschaftlicher Berater von Regierung, Sozialpartnern und Unternehmen.

Gefahren und Chancen der Gesellschaft

Nach seiner Pensionierung 1996 gründete er das Büro für die Organisation angewandter Sozialforschung (BOAS). Seine Forschungsschwerpunkte lagen in den Bereichen Sozialkapital, Modellierung sozialer Systeme, Policy Research, Methodologie der Umfrageforschung, Bildungsforschung und Medienforschung. Sozialwissenschaftlich betreute er Projekte wie die Errichtung der Donauinsel, des Donaukraftwerks Freudenau, die EU-Volksabstimmung, die Kampagne gegen das Ausländervolksbegehren („Lichtermeer“) oder die Gründung der Sir-Karl-Popper-Schule in Wien. Im Jänner 2020 wurde Gehmacher von Bürgermeister Michael Ludwig für sein Lebenswerk mit dem „Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien“ ausgezeichnet.

Als Sozialforscher und Publizist war Gehmacher, der im August 2020 seinen 94. Geburtstag feiert, immer bestrebt, mit seinen Untersuchungen die Gesellschaft positiv zu verändern und gerechter zu machen. Deshalb war er nicht nur kritischer Sozialwissenschaftler, sondern ist auch ein Visionär der gesellschaftlichen Entwicklung. Gehmacher vertritt einen Wandel von der Konsumkultur zu einer Ökokultur, vom Finanzkapital zum Sozialkapital, und von religiöser Ideologie hin zu einem spirituellen Bewusstsein. Im Gespräch mit Johannes Kaup spricht er auch über seine Glaubensüberzeugungen, sowie über die Gefahren und Chancen der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung nach der Covid-19-Pandemie für Österreich und Europa.

Logos 6.6.2020 zum Nachhören (bis 5.6.2021):

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