Bibelessay zu Matthäus 13,24-30

Ich liebe den Morgen. Der Morgen, er ist die lichte Tür zu jedem Tag, immer offen. Ich empfinde den Morgen als großes Geschenk der Zeit. Besonders heute, an einem Sonntag. Leicht löse ich mich aus der Nacht. Sanft begleitet mich ein Traum auf dem Weg hinaus in den Garten.

Ich stelle mich auf meinen Lieblingsplatz und atme, aus und ein. Ganz in meinem Rhythmus, tief und langsam. Atmen und bei mir sein. Atem schöpfen in der Ruhe, die über dem Ort liegt, wo ich wohne.

Josef Schultes
ist katholischer Theologe und Bibelwissenschaftler

Von der Kraft der Hoffnung

Leise streicht der Wind durch die Bäume. Tautropfen funkeln im erfrischten Gras. Dankbar begrüße ich den neuen Tag. Dankbar verneige ich mich vor der Sonne, die ich so sehr zum Leben brauche. Warm spüre ich sie auf meinem Gesicht, ihre Strahlen öffnen meine Hände, ihre Energie strömt in meinen Leib. Gefühle steigen auf und finden ins Wort: „Helle Weite meiner Seele / breitest dich in mir jetzt aus / atmest mich in Schweigen-Stille / fühle mich ganz tief zu Haus.“

Die aufgehende Sonne zu begrüßen, durchzuatmen und eine Weile zu meditieren: ein mir wichtiges Morgenritual. Ich stehe gern früh auf, auch jetzt in der Pension. Das mag mit meinem Beruf als Lehrer zusammenhängen. Länger zurück reicht aber eine andere Wurzel: Viele meiner Vorfahren sind Bauern gewesen, auch meine Eltern. Früh aufzustehen war nötig, um die Tiere zu füttern und ebenso für die Arbeit auf den Feldern, ehe es zu heiß wurde, vor allem in den Sommermonaten.

Der Sähmann

Seit Kindertagen bin ich also vertraut mit den Arbeiten, die diese Textstelle aus dem Neuen Testament schildert. Am Beginn heißt es da: „Ein Mann sät guten Samen auf seinen Acker“ (V.24). In biblischen Zeiten geschah das natürlich mit der Hand. Wie es auch noch die Ein-Schilling-Münze der österreichischen Nachkriegswährung zeigte. Als Vorlage diente dafür ein Gemälde des Bibel-Sämanns von Albin Egger-Lienz. Über 100 Millionen Stück dieser Münze aus Aluminium sind bis 1957 geprägt worden. Aber gesät oder „anbaut“ – wie es im österreichischen Dialekt so schön heißt – angebaut hat schon mein Großvater mit der Maschine.

Lebenskunst
Sonntag, 19.7.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Gesät wird im Frühjahr und geerntet im Sommer. Scheinbar eine klare Sache. Doch das Problem liegt in den Monaten dazwischen. Die Klimaerwärmung zieht immer öfter heftige Unwetter nach sich, mit Hagel und Überschwemmungen. Im wasserarmen Galiläa von damals lag die größere Bedrohung im Unkraut. Bei diesen zizánia, wie es im griechischen Original heißt, handelt es sich um den sogenannten Taumel-Lolch; eine giftige Pflanzenart, die zur gleichen Familie wie der Weizen zählt.

Dulden und Geduld

„Sollen wir gehen und das Unkraut ausreißen“ (V.28b), fragen die Knechte. „Nein“, antwortet der Grundbesitzer, „lasst beides wachsen bis zur Ernte“ (V.30a). Das Unkraut rasch vom Weizen trennen, sprich: die Bösen hart von den Guten separieren? Eine drängende Frage in der ersten Christen-Generation. Zucht und Ordnung, forderten manche, strenge Buße! Gegen solche rigorosen Tendenzen, eine „Kirche der Reinen“ zu schaffen, wendet sich der Verfasser des Matthäusevangeliums. Nur bei ihm steht diese Parabel. Sie misstraut dem „Aus-Grenzen“ und bietet stattdessen einen Boden für das Miteinander. Dulden bekommt eine Chance, Geduld einen Horizont...

Ich stehe im milden Licht der Morgensonne und atme ruhig aus und ein. Über den Garten huscht ein Grünspecht, wellenförmig sein Flug, laut lachend sein Ruf. Als ob er mich, zum heutigen Evangelium passend, an Gottes Fürsorge erinnern möchte. Lehrt doch der Gleichnis-Erzähler Jesus in der Bergpredigt nach Matthäus: „Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie“ (Mt 6,26).