Der Bischof und die „Queen of Crime“

Von Michael Bünker, emeritierter Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich.

Zwischenruf 02.08.2020 zum Nachhören (bis 01.08.2021):

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Phyllis Dorothy James zum 100. Geburtstag

Phyllis Dorothy James wurde vor hundert Jahren, am 3. August 1920, geboren. Sie war die „Queen of Crime“, ein Ruf, den sie sich durch ihre achtzehn Kriminalromane im Laufe eines halben Jahrhunderts erworben hat.

1962 legte sie los. Unter dem Titel „Cover her face“ erschien ihr erster Krimi und mit ihm ihr Detektiv Adam Dalgliesh von Scotland Yard. Er ist ein erfahrener Polizist. P.D. James ließ ihn schon beim ersten Fall auf sieben Berufsjahre zurückblicken. Er ist groß, dunkelhaarig und gutaussehend. Ihr bevorzugtes Milieu ist zumeist die gehobene Schicht in East Anglia, in Suffolk oder Dorset, es sind elitäre Einrichtungen wie eine Privatklinik für plastische Chirurgie, ein erzkonservatives Seminar für angehende Pfarrer der Kirche, oder ein herrschaftlicher Familiensitz. Alte, traditionsbeladene Gebäude im ländlichen England mit ihren dunklen Ecken, verwinkelten Gängen und unbekannten Eingängen – ideale Schauplätze für Verbrechen!

Adam Dalgliesh ist der Sohn eines anglikanischen Pfarrers. Schwere Schicksalsschläge bleiben ihm nicht erspart, seine Frau und sein Kind sterben bei dessen Geburt.

Dalgliesh ist nicht nur Polizist, er ist auch Lyriker und veröffentlicht Gedichte. Und doch schwört er bei seiner Arbeit nur auf den gesunden Menschenverstand als Grundlage aller kriminalistischen Arbeit. P.D. James hat viele Jahre in der Kriminalabteilung des britischen Innenministeriums gearbeitet. Sie kannte sich mit Polizeiarbeit aus und ihr Chief Inspector Dalgliesh ist daher ein Profi durch und durch.

Obwohl sich bei jedem Mord auch ihm ethische und theologische Fragen aufdrängen, muss seiner Überzeugung nach nur eine Frage in jedem Fall beantwortet werden: Wer ist der Täter? „Ich bin Polizist, kein Moraltheologe oder Ethiker“, sagt Dalgliesh einmal.

Aber das glaubt man ihm nicht ganz. Zu oft wird er in theologische Diskussionen verstrickt, zu oft ist er damit konfrontiert, dass es ihm zwar gelingt, ein Verbrechen aufzuklären, aber nicht, die Wahrheit zu erkennen oder gar zu verstehen, die dazu geführt hat. Hinter der Fassade der gutbürgerlichen Gesellschaft lauert das Böse. Jedem und jeder muss zugetraut werden, einen Mord zu begehen.

Was macht den Reiz dieser Krimis aus? Es ist die Lust, in die finsteren Ecken zu sehen, die Kellerräume von Gesellschaft und Seele zu betreten, aber auch die Gewissheit, dass da jemand ist, der letzten Endes das Böse entlarvt.

Es kommt alles ans Licht, auch wenn nicht mehr alles gut werden kann. Dabei geht es um Schuld und Sühne, um Strafe und Vergebung, um Wahrheit und Täuschung – alte religiöse Themen, die im Krimi von heute in säkularer Gestalt vorkommen. P.D. James verstand es, damit kompetent, spannend und unterhaltsam, mit feinem Humor wie mit tiefem Ernst umzugehen.

Je undurchsichtiger unsere Welt wird, meinte P.D. James einmal, umso mehr wächst die Sehnsucht der Menschen, zumindest in der Fiktion des Romans eine Welt zu erleben, in der es am Schluss eine Auflösung gibt. Ihr Detective Dalgliesh, dieser Ethiker wider Willen, steht für die Gebrochenheit der Welt und für die unerlässliche Aufgabe, dem Bösen nicht das letzte Wort zu lassen. In keinem Fall.

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