Bibelessay zu 1 Könige 19, 9ab.11b–13

Elija und die Gottesbegegnung in der Ruhe seiner Seele

In jenen Tagen kam Elíja zum Gottesberg Horeb. Dort ging er in eine Höhle, um darin zu übernachten. Doch das Wort des Herrn erging an ihn: Komm heraus und stell dich auf den Berg vor den Herrn! Da zog der Herr vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus.

Doch der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der Herr war nicht im Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der Herr war nicht im Feuer. Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln. Als Elíja es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle.

Lisa Huber, Theologin aus Südtirol und Leiterin des Begegnungszentrums Quo Vadis am Wiener Stephansplatz

Es ist August. Es ist heiß draußen. Am liebsten würde ich den ganzen Tag irgendwo am Wasser liegen, vielleicht im Schatten eines großen Baumes. Am liebsten würde ich den ganzen Tag über die wenigen Wolken am Himmel beobachten, wie sie vorbeiziehen. „Ein Esel!“, rufe ich. Meine Begleitung sieht nur Wolken, keinen Himmelsesel. Auch egal. Gedanken ziehen zu lassen, wie Wolken, das übe ich oft.

Wenn ich still werden will, aber meine aufgewühlten Gedanken im Kopf stören, dann versuch ich sie ziehen zu lassen wie Wolken. Manchen Gedanken schau ich mir etwas länger an. Aber dann darf er auch wieder gehen, wie er gekommen ist – damit es in mir still wird. Ich will nur mehr ausatmen, einatmen, da sein. Das ist eine alte Gebetstradition: Auf diese Weise kann man üben bei jenem Gott zu verweilen, von dem die Bibel erzählt, dass er den Menschen seinen Lebensatem eingehaucht hat.

Lebenskunst
Sonntag, 09.8.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Elija war ziemlich schlecht drauf

Ich stell mir vor, dass Elija nicht zum Beten zumute war. Er hat wohl höchstens die wenigen ganz kleinen Wölkchen am Himmel über der Wüste beobachtet. Elija war ziemlich schlecht drauf. Er war ein Prophet, der sein Amt, die dazugehörige Gefahr und Last nicht mehr tragen wollte.

Das kam so: Das Reich war unter König David zerfallen. Als Elija aus der Wüste nach Israel kam, sah er ein verwöhntes Volk, korrupte Priester und ein ziemlich selbstverliebtes Königtum. Weil er das kritisierte, war er nicht sehr beliebt. Das versteht sich von selbst.

Er blieb souverän, wies auf Missstände hin und sprach von Gott. Immer wieder musste er fliehen. Auf der Flucht warf er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod: „Mir reicht’s! Ich will sterben. Die Menschen wollen sich ja doch nicht ändern.“ Er schleppte sich in die Wüste zum Berg Sinai. Dort fand er eine Höhle und blieb in ihr über Nacht.

An dieser Stelle setzt die eben gehörte Bibelstelle an. Elija ist in einer Höhle. Diese Zuflucht kann mehrfach gedeutet werden: Sie ist ein Schutzort für einen flüchtenden Menschen. Sie ist auch die Rückkehr Elijas zu seinen Ursprüngen, in der Wüste. Und sie ist ein innerlicher Ort, ein Rückzug in die eigene Seele. In der Stille, in der Ruhe seiner Seele kann Elija Gott begegnen.

Die Gegenwart Gottes erkennen

Elija spürte es: Jetzt ist mir Gott ganz nahe. Deshalb verhüllte er sein Gesicht. Woran er die Gegenwart Gottes erkannte, das ist nur angedeutet: ein sanftes, leises Säuseln, oder in anderen Übersetzungen: die Stimme eines feinen Schweigens oder ein leises Flüstern. Schweigen und hören, offen sein für das, was Gott sagen will, das sind Schritte eines geistlichen Weges.

„Höre“, schreibt Benedikt von Nursia, der Gründer des nach ihm benannten Benediktinerordens, in seiner Ordensregel, „Höre mit dem Ohr deines Herzens, dann vertiefe es, akzeptiere es und tu es. Aber du brauchst die Stille, denn Gott kommt nicht im starken, mächtigen Sturm, wie uns die Schrift lehrt, sondern im leisen, zarten Säuseln des Windes.“

Hören und Antworten, das sei so etwas wie Ein- und Ausatmen. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Ursprünge des Karmels und damit der großen kontemplativen Tradition mit dem Propheten Elija zu tun haben.

Die ersten Mönche verehrten den Propheten. In der Zurückgezogenheit wird ein Raum geschaffen, um sich und Gott zu begegnen. Solche Räume können auch in unserem Alltag geschaffen werden, im Schatten eines großen Baumes vielleicht, oder beim Beobachten der Wolken, die vorüberziehen.