Schulbeginn

Die Kinder in den östlichen Bundesländern haben den Schulstart schon hinter sich, die jungen Leute im Westen werden wohl ihre Schultasche packen oder zumindest den Akku aufladen, damit das Tablet funktioniert morgen früh. Möglichst normal soll die Schule beginnen, damit neben der Routine auch Raum bleibt für das Überraschende, das Neue.

Zwischenruf 13.9.2020 zum Nachhören (bis 12.9.2021):

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Ich selber habe im Lauf meiner Lernbiografie viele Überraschungen erlebt. Ich denke da an einen wirklich originellen Professor für Altes Testament an der Uni in Wien. Er war ein Meister der alten Sprachen. Ägyptische Hieroglyphen malte er an die Tafel, als wäre es seine Handschrift. Uns Studierende hat er ermutigt: „Lernen Sie Hebräisch!“ „Hebräisch ist die leichteste Sprache der Welt, das Alphabet hat nur 22 Buchstaben“. Wir Studentinnen und Studenten waren natürlich vom Gegenteil überzeugt. Bei mir hat es nur zum Erkennen einzelner Buchstaben gereicht, aber geblieben ist mir das Interesse an Schriftzeichen, das Staunen auch darüber, dass ich mit unseren 26 Buchstaben im römischen Alphabet alles schreiben kann, was ich möchte. Genau genommen brauche ich neben den Buchstaben nur noch ein paar Pünktchen, wie für das Ü, oder das Ä und das Ö.

Sr. Beatrix Mayrhofer
ist Pädagogin, katholische Theologin und Mitglied eines Schulschwesternordens

Stichproben

Diese Pünktchen haben mir vor einem halben Jahr plötzlich die Augen für die Not einer Mitarbeiterin geöffnet. Ihre Tochter war in der ersten Klasse Volksschule. Nach dem Lehrplan der 1. Klasse erlernen die Kinder zu Beginn des 2. Semesters die Umlaute. Aber im März dieses Jahres war plötzlich der „Lock-down“ und Mira war mit ihren ü – und ö – und ä-Wörtern hilflos zu Hause. Die Mutter sage mir damals: „Diese Pünktchen da, da kenn ich mich nicht aus. Ich kann meiner Tochter nicht helfen, ich komme aus Albanien.“

Seither sind mir diese Pünktchen wie Stichproben für das Funktionieren unseres Bildungssystems. Wie können wir alle Kinder gut unterstützen, welche Chancen haben ihre Eltern, ihre Mütter vor allem, die deutsche Sprache zu lernen? Mira hat jetzt sicher alle Pünktchen-Buchstaben gelernt und ich wünsche allen Lernenden und Lehrenden ein erfolgreiches Schuljahr ohne erzwungene Unterbrechungen.

Zwischenruf
Sonntag, 13.9.2020, 6.55 Uhr, Ö1

Ich denke jetzt im September aber auch an Kinder, an Mädchen vor allem, die eine ganz andere Form von „Lock-down“ erleiden, deren Bildungsweg gar nicht angefangen hat oder schon nach wenigen Jahren abgebrochen worden ist. Ich denke an die Kinder in den Flüchtlingslagern unserer Welt, heute besonders an die Kinder aus dem abgebrannten Lager Moria. Ich denke an die Kinder, für die es einfach gar keine Schule gibt, die keine Chance haben, ein Alphabet zu lernen, für die Buchstaben nichts anderes sind als verriegelte Fenster. Ich denke jetzt oft an den Südsudan.

Frauen verändern Gesellschaft

Wir Schulschwestern starten gerade ein neues Projekt. Mehr als die Hälfte der südsudanesischen Kinder und Jugendlichen hat nach UNICEF-Angaben nie eine Schule besucht. Bei den Mädchen liegt die Analphabetismus-Quote sogar bei über 80 %. Meine Mitschwestern bestätigen das. Wir Schulschwestern sind eine internationale Gemeinschaft im Dienst der Erziehung. Derzeit bereiten sich vier Frauen auf ihren Einsatz als Lehrerinnen im Südsudan vor. Eltern sollen den Mut und die Möglichkeit bekommen, ihre Mädchen in die Schule zu schicken. Wir sind zuversichtlich, dass einige dieser Mädchen dann selbst Lehrerinnen werden und mithelfen, ihr Land aufzubauen.

Nach einem grausamen Bürgerkrieg beginnt das Land am weißen Nil langsam wieder zu leben. Bildung ist gefragt, Mädchenbildung notwendig. Schon unsere Gründerin war überzeugt: Frauen verändern Gesellschaft.