Jose Casanova ruft zu Ungehorsam auf

Zum zivilen kirchlichen Ungehorsam hat der Religionssoziologe Jose Casanova bei einem Vortrag am Mittwochabend in Salzburg aufgerufen.

Der renommierte spanisch-amerikanische Religionssoziologe stellt diese Forderung angesichts eines Auseinanderdriftens von kirchlicher und säkularer Moral. "Wie moderne demokratische Gesellschaften sich das Prinzip des zivilen Ungehorsams zu eigen machen müssen, so muss sich auch die katholische Kirche in einer modernen Welt das Prinzip „faithful dissent" aneignen und sich dem internen Pluralismus öffnen.“

Der Vortrag fand im Rahmen der „Salzburger Hochschulwochen“ statt und war zugleich die Dankesrede Casanovas auf die Verleihung des „Theologischen Preises“ der Hochschulwochen. Die mit 5.000 Euro dotierte Auszeichnung war ihm zuvor vom Salzburger Erzbischof Alois Kothgasser überreicht worden.

Kirchliche Baustellen

Ein ziviler kirchlicher Ungehorsam ist laut Casanova, der selbst in den 1970er Jahren in Innsbruck Theologie studiert hat, die angemessene Form, theologische Verantwortung in einer Situation eines Auseinanderdriftens von gesellschaftlicher und kirchlicher Moral zu übernehmen. Aus soziologischer Sicht stellen sich für ihn insbesondere die Bereiche der Geschlechtergerechtigkeit und der Sexualmoral als kirchliche Baustellen für die Zukunft dar.

Wolle die Kirche einem weiteren Auseinanderklaffen der von ihr propagierten Moral und der säkularisierten gesellschaftlichen Moralvorstellungen entgegentreten, so seien diese Bereich besonders zu beachten, so Casanova.

Jose Casanova in einem Hörsaal mit der ihm verliehenen Auszeichnung.

Salzburger Hochschulwochen

Jose Casanova erhält den Theologischen Preis der Salzburger Hochschulwochen.

„Weibliche Säkularisierung“

Nicht zuletzt durch das Bekanntwerden des Missbrauchsskandals vor zwei Jahren seien diese beiden Themenkomplexe erneut in den Fokus geraten, so Casanova. Dringend werde diese Frage aber auch vor dem Hintergrund des gehäuften Kirchenaustritts insbesondere von Frauen: Die „weibliche Säkularisierung“ sei „der signifikanteste Faktor in der seit den 1960er Jahren drastisch voranschreitenden Säkularisierung westeuropäischer Gesellschaften“.

Verließen die vorwiegend männliche Intelligenzia die Kirche im 18. Jahrhundert und das männliche Proletariat im 19. und 20. Jahrhundert, so habe seit den 1960er Jahren der Auszug der Frauen aus der Kirche begonnen.

„Aggiornamento“ statt Traditionalismus

Das Problem der Geschlechtergerechtigkeit und der kirchlichen Sexualmoral stelle sich daher nicht als theologisches Problem dar, sondern vor allem als „fundamentales Problem patriarchaler Geschlechterdiskriminierung innerhalb der männlichen klerikalen Kirche“. Nicht gelten lässt Casanova dabei den Verweis auf die Berufung von Männern durch Jesus.

Vielmehr sei „durch die Kirchengeschichte hindurch der männliche Charakter des Priestertums eine selbstverständliche kulturelle Prämisse“ gewesen; eine theologische Rechtfertigung sei erst durch die „demokratische Revolution der Moderne“ und der In-Frage-Stellung jeglicher Geschlechterdiskriminierung aufgekommen.

Schreckgespenst Feminismus

Die jüngste vatikanische Maßregelung der amerikanischen Ordensfrauen (mehr dazu in US-Ordensfrauen beraten über Verhältnis zum Vatikan) könne in dieser Perspektive als konsequenter Versuch verstanden werden, sich den „radikalen Veränderungen der Rahmenbedingungen“ zu entziehen: „Der Feminismus scheint den Kommunismus als Schreckgespenst aller religiösen Traditionen ersetzt zu haben“.

Gleiches gilt laut Casanova auch für die Abkehr vom Prinzip des „aggiornamento“, der vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) propagierten Öffnung der Kirche zur Welt und zu den „Zeichen der Zeit“: Wäre dies aus soziologischer Sicht eine „erfolgreiche Adaption an einige fundamentale Moralprinzipien der säkularen Moderne“, so beharre die Kirche heute doch weiterhin bei Themen wie Familienstrukturen, Geschlechterrollen, Macht und Autorität auf einer „traditionalistischen, naturalistischen und unreflektierten fundamentalistischen Position“.

Zeichen der Zeit

Dabei verkenne die Kirche die im Prinzip des „aggiornamento“ verborgene kritische Kraft: Denn mit der Beachtung der „Zeichen der Zeit“ sei keinesfalls eine „unkritische Anpassung an die moderne säkulare liberale Kultur“ gemeint, sondern vielmehr der Versuch bezeichnet, eine „kritische, wahrhaft prophetische Beziehung zur säkularen Kultur“ zu suchen.

„Nur eine Kirche, die den Wert des Kerns der modernen Moralentwicklung erkennt und als schicksalhaftes ‚Zeichen der Zeit‘ annimmt, kann eine kritische prophetische Rolle gegenüber unmoralischen und anomischen säkularen Trends spielen“, so Casanova.

Kirche hinkt hinterher

Dies gelte in besonderer Weise für das „Skandalon des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch Kleriker“. Denn die lange Reaktionszeit der Kirche auf diesen Skandal, dessen erste Anzeichen ja viel früher als vor zwei Jahren datierten, zeige, dass die Kirche sich allzu lange der autonom gewordenen gesellschaftlichen Moral und deren Tabuisierung sexueller Gewalt verschlossen hatte. „Die säkulare Gesellschaft und die öffentliche Meinung waren der Kirche in diesem moralischen Streitpunkt weit voraus, während die Kirche hinterher hinkte.“

Die jüngste vatikanische Kehrtwende unter Benedikt XVI., dessen „Null-Toleranz-Politik“ und die „Zeichen von Reue und öffentliche Bitten um Vergebung für klerikale Vergehen“ seien indes „begründete Zeichen zu hoffen, dass der Höhepunkt des Skandals überschritten ist“, so Casanova. Nun müsse die Kirche nachhaltig Lehren aus der Krise ziehen.

Problematische Trends

Dazu gehöre die Einsicht in die autonome säkulare Moralentwicklung: denn letztlich sei es die vor allem vom Feminismus vorangetriebene „säkulare Revolution der Moral“ gewesen, die den sexuellen Missbrauch zum Skandalon werden ließ.

Unangemessen sei die häufig anzutreffende kirchliche Reaktion auf die Missbrauchskrise in Form einer weiteren „Klerikalisierung“ des Klerus: „Die wachsende Klerikalisierung der Diözesanpriester, die sich zunehmend von Laien und der Welt zurückziehen, ist ein problematischer Trend in der Kirche von heute.“

(KAP)

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