Zwei Jahre Haft für Pussy Riot

Mit ihrem Protest gegen Kremlchef Putin hätten die drei Frauen religiösen Hass schüren wollen, urteilt Richterin Marina Syrowa.

Der Schuldspruch wird als historisch für Russland eingeschätzt: Mit ihrem Protest gegen Kremlchef Putin habe Pussy Riot religiösen Hass schüren wollen, urteilt Richterin Marina Syrowa in Moskau. Vor dem Gebäude nimmt die Polizei zahlreiche Anhänger der drei Aktivistinnen fest.

Keine Gnade für Putin-Gegner

Trotz massiver internationaler Kritik hat ein russisches Gericht drei Frauen der Punkband Pussy Riot wegen Rowdytums aus Motiven des religiösen Hasses schuldig gesprochen.

DIe Mitglieder der Rockband Pussy Riot Yekaterina Samutsevich (Links ), Maria Alyokhina (Mitte) and Nadezhda Tolokonnikova (Rechts) in einem Glaskäfig im Khamovnichesky Gericht in Moskau.

EPA / MAXIM SHIPENKOV

Die Mitglieder der Rockband Pussy Riot kurz vor der Urteilsverkündung im Khamovnichesky-Gericht in Moskau.

Mit ihrem Protest in der Moskauer Erlöserkathedrale hätten die Angeklagten die Gefühle der Gläubigen auf das Gröbste verletzen wollen, so die Richterin.

Russisch-orthodoxe Kirche fordert Begnadigung

Die russisch-orthodoxe Kirche bittet um Begnadigung der Bandmitglieder. „Ohne die Rechtmäßigkeit des Gerichtsbeschlusses in Frage zu stellen, wende man sich an die Staatsmacht mit der Bitte, Gnade walten zu lassen“, heißt es auf der Internetseite des Moskauer Patriarchats. „Dies sei mit der Hoffnung verknüpft, dass die drei Frauen künftig von gotteslästerlichen Handlungen lassen würden.“

Punkgebet gegen Kremlchef und Patriarch

Die Skandalband hatte in Russlands wichtigstem Gotteshaus am 21. Februar ein Punkgebet gegen Kremlchef Wladimir Putin und den russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill aufgeführt. Richterin Syrowa widersprach den Frauen, es habe sich nicht um eine politische Aktion gehandelt. Zudem hätten sie keine Reue für die konspirativ vorbereitete Performance gezeigt. Allerdings hatten sich die Angeklagten zum Prozessauftakt für den Fall entschuldigt, dass sie religiöse Gefühle verletzt hätten.

Bei Protesten zahlreiche Menschen festgenommen

Zahlreiche Anhänger der Künstlerinnen protestierten vor dem Gericht gegen den Schuldspruch, mit dem Hass auf Gläubige oder ihre Religion gemeint ist. Die Polizei, die mit einem Großaufgebot das Gebäude abriegelte, nahm Dutzende Menschen fest, darunter Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow und Oppositionsführer Sergej Udalzow.

Politisch motiviertes Urteil?

Der Schuldspruch sei ein „gefährlicher Präzedenzfall“, sagte der Menschenrechtsbeauftragte des Kreml, Michail Fedotow, der Agentur Interfax zufolge. Die prominente Bürgerrechtlerin Ljudmila Alexejewa sprach von einem „ungerechten und politisch motivierten Urteil, das dem gesunden Menschenverstand widerspreche“.

Amnesty International: „Politische Gefangene“

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International geht davon aus, dass die Frauen nur aufgrund ihrer legitimen Meinungsäußerung verurteilt wurden. Deshalb seien sie „politische Gefangene“. Das Urteil sei nicht nur der Versuch, die drei jungen Frauen zum Schweigen zu bringen, sagte Amnesty-Expertin Friederike Behr. „Es soll auch eine Warnung an alle anderen sein, die es wagen, Präsident Putin und seine Regierung zu kritisieren“, sagte Behr in Berlin.

Fatal für Zivilgesellschaft in Russland?

Der deutsche Russland-Koordinator Andreas Schockenhoff (CDU) kritisierte: „An die russische Gesellschaft wird das Signal gesandt: wer Kritik am Regime übt, statt sich dessen Willen unterzuordnen, ist kein Partner, sondern eine Bedrohung, die bekämpft werden muss.“ Dies sei fatal für die weitere Entwicklung der Zivilgesellschaft in Russland und des Landes insgesamt.

Urteilsverkündung

In einem Kasten aus kugelsicherem Plexiglas verfolgten die mit Handschellen gefesselten Frauen die Urteilsverkündung sichtlich gelassen im Stehen. Insgesamt hatten die Ermittler 3000 Seiten Unterlagen zu dem etwa einminütigen Punk-Gebet zusammengetragen. Die Anwälte von Pussy Riot wollen das Urteil in der nächsten Instanz anfechten. Einem Gnadengesuch an Putin erteilten die Künstlerinnen im Vorfeld eine Absage. „Machen Sie Witze? Natürlich nicht. Eher sollte er uns und Sie um Gnade bitten“, schrieb Tolokonnikowa der regierungskritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“.

Epizentrum

Sie glaube nicht an ein unabhängiges Urteil, meinte die Aktivistin. „Das ist eine Illusion“, hieß es. „Wir sind glücklich, dass wir unabsichtlich das Epizentrum eines großen politischen Geschehens geworden sind, das so viele verschiedene Gruppen einbezieht“, meinte Tolokonnikowa. Eine Flucht ins Exil lehnte sie wie ihre Mitangeklagten ab.

Demonstranten protestieren für die Freilassung der Mitglieder der Band Pussy Riot vor der russischen Botschaft in Kiev.

EPA / SERGEY DOLZHENKO

Proteste für die Freilassung der Mitglieder der Band Pussy Riot vor der russischen Botschaft in Kiew

Weltweit Proteste gegen das Urteil

Auch zahlreiche Künstler des Internationalen Literaturfestivals Berlin, darunter die Literaturnobelpreisträger Elfriede Jelinek und Mario Vargas Llosa, kritisierten den Vorwurf des „Religionshasses“. Weltweit demonstrierten Menschen für eine Freilassung von Pussy Riot, darunter auch in Berlin. In Moskau und Bulgarien stülpten Anhänger der jungen Frauen Denkmälern bunte Sturmhauben über, das Markenzeichen von Pussy Riot. In der ukrainischen Hauptstadt Kiew fällte eine Aktivistin der feministischen Gruppe Femen ein großes Holzkreuz mit einer Motorsäge. Die Miliz leitete ein Vefahren wegen Landfriedensbruches ein.

APA/dpa

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