„Vatileaks“-Prozess gegen Kammerdiener beginnt

Am Samstag beginnt der Prozess gegen den Kammerdiener von Papst Benedikt XVI., Paolo Gabriele. Der Kammerdiener muss sich wegen des Vorwurfs des schweren Diebstahls von Akten des Papstes verantworten.

Vier Monate nach seiner Festnahme schlägt für Gabriele die Stunde der Wahrheit. Es handelt sich um einen der vermutlich spektakulärsten Prozesse in der Geschichte des Vatikans. Bisher war noch nie ein enger Mitarbeiter des Papstes mit derart gravierenden Vorwürfen konfrontiert worden.

Dem im Mai festgenommenen und nach 53 Tagen Untersuchungshaft in den Hausarrest entlassenen Ex-Diener Benedikts XVI. wird vorgeworfen, vertrauliche Dokumente vom päpstlichen Schreibtisch entwendet zu haben, von denen einige brisante in die Medien gelangten. Darunter waren Unterlagen zu einem angeblichen Mordkomplott gegen den Papst und zu umstrittenen Geschäften der Vatikan-Bank IOR. Im Zuge der Ermittlungen wurden bei Gabriele nicht nur Dokumente gefunden. Auch ein auf Benedikt ausgestellter Scheck über 100.000 Euro sowie weitere an den Papst gerichtete Geschenke wurden in der Wohnung des Kammerdieners gefunden.

Innervatikanische Flügelkämpfe?

Mit Gabriele muss sich ein zweiter Angestellter, Claudio Scopelliti, verantworten, der als Informatiker für das Staatssekretariat des Vatikans gearbeitet hat. Ihm wird Beihilfe vorgeworfen. Noch unklar sind die Hintergründe, die den seit 20 Jahren im Staatssekretariat tätigen Gabriele zur Entwendung der vertraulichen Papst-Dokumente bewogen haben.

Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone

dapd/Alessandra Tarantino

Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone soll Gerüchten zufolge Ziel innervatikanischer Flügelkämpfe sein.

Laut Ermittlungen hatte Gabriele zahlreiche kopierte Briefe und Geheimdokumente aus der Wohnung des Papstes an den italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi weitergegeben. Als die Dokumente veröffentlicht wurden, spekulierten Beobachter, innervatikanische Flügelkämpfe seien die wahre Ursache für den Vertrauensbruch gewesen, eines der Angriffsziele sei Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Nuzzis Buch „Sua Santita“ sorgte in den vergangenen Monaten weltweit für Schlagzeilen.

Nur wenige Journalisten zugelassen

Der Prozess gegen Gabriele findet in einem kleinen Gerichtssaal hinter der Peterskirche statt. Das große Medieninteresse muss der Vatikan aus Platzgründen zügeln: Zu den Verhandlungen wird lediglich ein Pool aus acht Printmedien- und Agenturjournalisten zugelassen. Fotos oder TV-Bilder des Angeklagten im Gerichtssaal wird es dagegen nicht geben: Der Vatikan will weder Fotografen noch Kameraleute zulassen. Auch Audioaufzeichnungen sind nicht vorgesehen. Die geringe Zahl der zugelassenen Journalisten sorgte für Unmut unter den Medienvertretern.

Ein Richter-Trio führt den Prozess. Neben dem Präsidenten des vatikanischen Gerichts, Giuseppe Dalla Torre, werden die Richter Paolo Papanti Pelletier und Venerando Marano Platz nehmen. Die Anklage vertritt der vatikanische Staatsanwalt Nicola Picardi, der die Ermittlungen führte. Anwesend wird auch Untersuchungsrichter Piero Antonio Bonnet sein.

„Mauer des Schweigens“ im Vatikan

Die Verteidigung Gabrieles wird vor Gericht die Anwältin Cristiana Arru übernehmen. Der zweite Anwalt Gabrieles, Carlo Fusco, hatte vor einigen Wochen auf die Verteidigung des Kammerdieners verzichtet. Der Prozess könnte sich über mehrere Wochen ausdehnen, seine Dauer ist noch nicht abzusehen. Mehrere Zeugen müssen im Rahmen des Verfahrens vernommen werden, ihre Namen wurden nicht bekanntgegeben. Gerüchten zufolge könnte der Prozess innerhalb der am 6. Oktober geplanten Bischofssynode in Rom enden. Wenn nicht, wird er während der Zeit der Synode ausgesetzt und später weitergeführt.

In einem im Februar ausgestrahlten TV-Interview behauptete der unkenntlich gemachte und mit verzerrter Stimme präsentierte Gabriele, dass es etwa 20 Personen im Vatikan gebe, die wie er zu Enthüllungen bereit seien, um Transparenz zu sichern. Als Motivation für sein Handeln nannte Gabriele Wut und Angst: Es gebe im Vatikan eine Mauer des Schweigens. „Der Papst will für Sauberkeit sorgen, doch er stößt auf Schwierigkeiten“, sagte Gabriele. Diese Mauer des Schweigen lasse „die Wahrheit der Dinge nicht nach außen“ dringen.

Bis zu sechs Jahre Haft

Gabriele bezeichnete sich als „Verbindungsmann des heiligen Geistes gegen das Böse und die Korruption“, der die Kirche wieder auf den rechten Weg bringen wolle. Nicht ausgeschlossen wird, dass Gabrieles Rechtsanwältin auf seelische Probleme des Kammerdieners pochen will, um eine Strafreduzierung zu erhalten. Experten zufolge drohen dem Vater dreier Kinder bis zu sechs Jahre Haft. Der Papst könnte den Täter im Fall einer Verurteilung später aber jederzeit begnadigen.

APA

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