IKG-Wahl geht in die letzte Runde

Die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG) wählt bis Sonntag ihren neuen Vorstand. Neben Präsident Oskar Deutsch mit der Liste Atid gilt Martin Engelberg mit der Liste Chaj als aussichtsreichster Kandidat. Religion.ORF.at hat mit beiden Kandidaten gesprochen.

Insgesamt treten zehn Listen zur heurigen IKG-Wahl an, drei davon sind neu: Neben Chaj - Jüdisches Leben des Psychoanalytikers und Consulters Engelberg kandidieren diesmal auch die kaukasischen Juden mit Spitzenkandidat Josef Sarikov sowie die Initiative Respekt, die mit Sonja Feiger die erste weibliche Kandidatin stellt, die sich um das höchste Amt in der IKG bewirbt - mehr dazu in Feiger erste Präsidentschaftskandidatin bei IKG-Wahl. Derzeit ist Deutsch mit der Liste Atid - Jüdische Zukunft Präsident der Kultusgemeinde. Er hatte im Februar Ariel Muzicant abgelöst.

Zehn Fraktionen

Weitere vertretene Fraktionen sind die Sefardim-Bucharischen Juden, der Bund sozialdemokratischer Juden-Avoda, Khal Israel, die Georgischen Juden, der Block der religiösen Juden sowie die Misrachi - Zionistische Einheit. Die junge liberale Liste Gesher tritt heuer nicht mehr an. Aus den Reihen des neuen Kultusvorstandes geht auch der künftige Präsident hervor. Der Vorstand der IKG setzt sich aus 24 Mandataren zusammen. Zehn davon konnte sich Atid bei der vergangenen Wahl im November 2007 sichern.

Deutsch will „Gutes verbessern“

Präsident Deutsch - zusammen mit Engelberg der aussichtsreichste Kandidat für das Amt des Präsidenten - möchte die Linie von Atid nach der Wahl weiterführen, getreu deren Motto „Gutes verbessern“, wie er im Gespräch mit religion.ORF.at sagte.

Oskar Deutsch

APA/Herbert Pfarrhofer

Oskar Deutsch

Deutsch verweist auf die Erfolge der beiden vergangenen Jahrzehnte, während derer viel an Infrastruktur für die stark wachsende Gemeinde geschaffen worden sei.

Als eines der kommenden Ziele, so Deutsch, solle das Simon-Wiesenthal-Zentrum „endlich ein Zuhause bekommen“. Auch in puncto Mitgliederzahl hofft man bei Atid auf Erweiterung: Mit jährlich etwa 150 zusätzlichen Mitgliedern der Kultusgemeinde innerhalb der letzten zehn Jahre sei bereits ein beträchtlicher Zuwachs erreicht worden.

Engelberg: Auf Menschen fokussieren

Auf Wachstum setzt auch Deutschs Kontrahent Engelberg. Für Chaj seien aber die Prioritäten andere als für Atid, sagte Engelberg zu religion.ORF.at: „In den letzten Jahren hat es immer neue, große Immobilienprojekte gegeben. Wir fokussieren mehr auf die Mitglieder und auf die Leute, denen wir die Kultusgemeinde näherbringen wollen.“ Schwerpunkte setzen will die Liste Chaj in der Jugendarbeit und mit kulturellen Angeboten, die die Menschen an die Gemeinde binden sollen.

Als Beispiel nennt Engelberg eine mögliche Einrichtung, die den „Sunday Schools“ (Sonntagsschulen) im englischsprachigen Raum ähneln, um mehr Kinder und Familien in den Tempel zu bringen. Ein weiteres Anliegen seiner Gruppierung sei eine zunehmende Spiritualisierung der Menschen.

„Ja, das ist meine Gemeinde“

Auf dem Gebiet der Alltagsarbeit sieht Deutsch seine Gemeinde bereits jetzt gut etabliert: „Es gibt für jeden etwas. Die Struktur der jüdischen Gemeinde in Wien ist in Europa einzigartig.“ Es gebe Synagogen, koschere Geschäfte und Restaurants, ebenso wie „jeden Tag“ auch jüdische kulturelle Events. Deutschs Vision für die Zukunft der Kultusgemeinde: eine starke Identifikation der Mitglieder mit der Gemeinde. Die Leute sollten sagen: „Ja, das ist meine Gemeinde.“

Martin Engelberg

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Martin Engelberg

Ähnliches wünscht sich Konkurrent Engelberg: Es brauche einen Brückenschlag zu den Mitgliedern, aber auch zu den „Tausenden Juden, die nichts mit der Gemeinde zu tun haben“. Auch sie wolle man erreichen. Und auch über die jüdische Community hinaus will Chaj mehr Offenheit signalisieren: „Man muss die Realität kennen, Antisemitismus wahrnehmen, aber auch, dass es eine sympathisierende Mehrheit gibt“, die Interesse und Anteilnahme für die jüdische Gemeinde bekunde.

„Wagenburgmentalität mag ich nicht“

Es gelte, sich zu öffnen und für den Rechtsstaat sowie für Menschenrechte zu kämpfen. Diese Haltung ergebe sich aus seiner Herkunft: In einer traditionellen Familie groß geworden, habe er sich oft als einziger Jude, etwa in der Schule, behauptet. „Wagenburgmentalität mag ich nicht“, so Engelberg. Weitere Ziele seiner Gruppe seien mehr Transparenz beim Wirtschaftsgebaren der Gemeinde. Er wünsche sich einen „Kassasturz“, so Engelberg. Zu häufig gebe es vonseiten der derzeitigen Gemeindeleitung verwirrende Meldungen bezüglich der Finanzen der Gemeinde, das solle „transparenter“ werden, wünscht sich Engelberg.

Die „hohe Wahlbeteiligung“ an den bisher möglichen Wahlterminen am 1. und 6. November sei ein „Sieg der Demokratie“, so Deutsch, sie sei bei über 30 Prozent gelegen. Eine bestimmte Mandats- oder Stimmenzahl als erhofftes Ergebnis nannte er gegenüber religion.ORF.at nicht, Atid solle einfach die stärkste Fraktion bleiben. Auf die Zusammenarbeit mit den anderen Mandataren freue er sich schon, sagte Deutsch.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

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