Geheimdokumente: Pius XI. und der Ständestaat

In Wien findet derzeit eine internationale Tagung zu Pontifikat und Person Papst Pius’ XI. statt. Im Fokus ist dabei vor allem das heikle Verhältnis des Vatikan und Österreichs zur Zeit des austrofaschistischen Ständestaates (1934 bis 1938).

Ziel der hochkarätig besetzten Tagung am 22./23. November ist nicht weniger als die Korrektur des seit nunmehr 70 Jahren vorherrschenden Pius-Bildes, dessen Pontifikat als eines der schwierigsten und wohl auch umstrittensten der Neuzeit gilt. Im Fokus dabei besonders das heikle Verhältnis des Vatikans zur Situation in Österreich zur Zeit des „Ständestaates“ - mehr dazu in Internationale Tagung über Pius XI..

So kann der Initiator der Tagung und zugleich Leiter des Forschungsnetzwerkes „Pius XI. und Österreich“, der Wiener Kirchenhistoriker Rupert Klieber, mit zahlreichen neuen Einsichten aufwarten, die sich aus der Öffnung der vatikanischen Archive dieser Zeit ergeben hätten. Detailforschungen zeigen nun ein „weitaus differenzierteres und mitunter überraschendes Bild“ Pius’ XI., so Klieber im Gespräch mit Kathpress. Die Forschungsergebnisse sollen bei der Tagung im Detail präsentiert werden.

Keine Probleme mit autoritären Regimen

Bekannt ist, dass Pius XI. keine Probleme mit autoritären Regimen hatte. Mit Benito Mussolini hatte er 1929 einen Pakt abgeschlossen, um den Vatikan-Staat zu bekommen. 1929 entsandte der Papst eine „fact finding mission“ nach Österreich, um sich ein Bild über die damaligen sozialistischen Arbeiterpartei zum machen, haben Historiker jetzt herausgefunden. Deren Ergebnis: Die Partei sei für die Kirche bedrohlich und schädlich.

Klieber im Ö1-Mittagsjournal

Pius XI. war kein politischer Zauderer - und auch kein Schweiger. „Er war konfrontiert mit Stalin, Mussolini, Hitler und vielen anderen extremem politischen Entwicklungen. Und er hat dem etwas entgegensetzen wollen“, sagt der Wiener Kirchenhistoriker Rupert Klieber im Ö1-Mittagsjournal am Donnerstag - mehr dazu in Vatikan-Archiv: Katholische Kirche im Faschismus.

So war es auch kein Problem für Pius XI., dass 1933 in Österreich die Demokratie ausgeschaltet wurde, der Papst machte sich persönlich für den autoritären Ständestaat unter Engelbert Dollfuß stark. Das geht aus streng vertraulichen und bisher unbekannten Geheimprotokollen hervor. Historiker Klieber im Gespräch mit Ö1: „Die größte Überraschung aus den Quellen war, dass der österreichische Bundeskanzler, Wilhelm Miklas, auf geheimen Weg den Rat des Papstes gesucht hat, wie er sich verhalten soll angesichts eines immer autoritärer werdenden Regimes Dollfuß. Pius XI. hat hier sehr deutlich den eingeschlagenen Kurs von Dollfuß unterstützt.“

Der Papst war der Meinung, dass ein autoritär-katholisches Österreich unter Dollfuß für seine Kirchenpolitik das Beste wäre, um ein Bollwerk gegen Faschismus und Kommunismus zu bilden. Wie die folgenden Jahre zeigten, ging diese Taktik nicht auf. Die Akten aus der Amtszeit seiens Nachfolgers Pius XII. sind noch nicht freigegeben – einer Amtszeit, die, so Kritiker, gekennzeichnet war vom Schweigen zu den Gräueln des Nationalsozilismus.

„Aktive Gestalterpersönlichkeit“

Vom ersten Tag seines Pontifikats an habe Pius XI. eine aktive Kirchenpolitik betrieben: „Er war von einem stark ausgeprägten politischen Gestaltungswillen beseelt. Er hat sich nie auf das bloße Reagieren auf Entwicklungen beschränkt, sondern wollte bewusst selbst seine Zeit gestalten“, so Klieber gegenüber Kathpress.

Papst Pius XI., Segnung auf dem Petersplatz

dapd/AP

Ein „weitaus differenzierteres und mitunter überraschendes Bild“ von Papst Pius XI. ergeben neue Detailforschungen, so Kirchenhistoriker Rupert Klieber

„Ohne den aktiven Gestaltungswillen Pius XI. hätte die Kirche in jener Zeit nicht diese starke Position behalten können, die sie einnahm. Andererseits wurde auch viel an innerkirchlicher Vielfalt eingeebnet“, sagte der Kirchenhistoriker.

Im Blick auf Österreich hat Pius XI. besondere Relevanz wegen seiner „Unterstützung für das Modell der Katholischen Aktion“. Darüber hinaus habe der Papst in Österreich aktiv kirchenpolitisch eingegriffen - etwa im Blick auf eine „völlige Neuordnung der theologischen Studien“ sowie den „Umbruch bei der Praxis der Bischofsernennungen“.

Neu zugängliche Quellen

Mit dem Modell der Katholischen Aktion habe der Papst bewusst ein „Gegenmodell gegen die vereinnahmenden politischen Bewegungen der Zeit entwerfen und den weltanschaulichen Gegnern eine starke, selbstbewusste Positionierung entgegenhalten“ wollen. Diese „höchst aktive Rolle“ Pius’ XI. werde bei den nun neu zugänglichen Quellen immer deutlicher.

Neue Einsichten habe laut Klieber etwa die Einsicht in die Nuntiaturberichte ergeben. So sei die Kurie und Pius XI. offenbar vom Apostolischen Nuntius Enrico Sibilia nicht immer ausgewogen über die Entwicklung in Österreich informiert worden. Dies sei etwa im Blick auf das Verhältnis des Heiligen Stuhls zum „Ständestaat“ deutlich erkennbar. Klieber: „Man weiß heute deutlicher, dass die Kurie durch den päpstlichen Nuntius Enrico Sibilia leider sehr einseitig informiert wurde. Sibilia hatte Verbindungen zu den Scharfmachern, erst mit dem Auslaufen dieser Nuntiatur 1936 kam die Kurie zu einer differenzierten Sicht auf Österreich.“

„Kurie wollte keinen faschistischen Staat“

Die Gefahr des Faschismus sei hingegen durch „aufgeschlossenere Teile des österreichischen Klerus sehr früh erkannt worden“ - diese hätten jedoch verabsäumt, „ihrerseits die Kurie zu informieren“. Das Verhältnis der Kurie zum Ständestaat sei aber keineswegs restriktionsfrei gewesen, es wurde um Einflusssphären gerungen: „Die Kurie wollte keinen voll faschistischen Staat“, so Klieber.

Revidiert werden müsse weiters die Einschätzung, Pius XI. habe zwar die Gefahr des Kommunismus, nicht aber jene des Faschismus und Nazismus erkannt. Ein unterschiedlicher und nicht immer ausgewogener Informationsstand habe es für den Heiligen Stuhl schwierig gemacht, zu unterscheiden, „was berechtigterweise verurteilt werden muss, und dem, was an Seelsorge noch zu retten ist“, so Klieber. Sowohl gegenüber dem Kommunismus als auch gegenüber dem Hitler-Regime habe Pius vor allem die Sicherstellung der Seelsorge im Auge gehabt. Mit Zunahme der Gewaltakte sei die Kurie dann stärker auf Konfrontation gegangen.

ORF/KAP

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